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Category: Deutsch

Betroffen allesamt

Posted on 2022/05/27 - 2022/05/29 by avisbabel

Eines frühen Morgens, es fällt ein feiner Nieselregen, setzt ein 40-Tonner sich in Bewegung. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen dieser tausend Lkws, der den Transport von Waren sicherstellt, seine Mission ist weniger bedeutungslos. Mit eingeschaltetem Licht bewegt sich der Laster in die Vororte der bayerischen Hauptstadt München. Im Schlepptau die düstere Silhouette eines Krans, der bereit zu sein scheint, seine mechanischen Krallen in irgendeine Beute zu schlagen. Es handelt sich um einen ganzen Konvoi: der Lkw wird nämlich von Polizeifahrzeugen begleitet, jedoch ohne Blaulicht. Am Ziel angekommen springen die Polizisten aus ihren Fahrzeugen, rammen eine Tür ein und dringen in die Räumlichkeiten ein. Die Operation zielt nicht darauf ab, irgendetwas zu entdecken, sie sind da um etwas zu holen. Jedoch greifen sie sich keine Verdächtigen, wie man zuerst denken könnte. Auch keine hermetischen Kanister, die ein Vorbote von gut versteckten Sprengstoffen oder Waffen sind, deren Abwesenheit sicherlich nicht der Beweis für eine kaum zu empfehlende Unschuld in dieser tödlichen Welt ist. Ja nicht einmal der kleinste Benzinkanister liegt irgendwo herum. Doch das hat auch alles seine Richtigkeit, denn das war eh nicht das, worauf es die Polizisten abgesehen haben. Sie kamen um eine ganz andere Waffe zu stehlen, eine, die den Geist schärft und das Denken festigt. In München, an diesem 26. April 2022, kamen die Bullen… um sich eine Druckerei einzuverleiben, die anarchistischen Schriften gewidmet war.

So berichteten später Gefährten von dort, dass die Polizisten die gesamte Druckerei raubten: „Vom Risograph (eine Druckmaschine) samt zugehörigen Trommeln bis zur Schneidemaschine, von der Sortier- bis zur Klebemaschine, ja sogar eine historische Letterpress und mehrere Bleisätze dafür wanderten allesamt in die Asservatenkammern der Bullen.“ Zehntausende Blatt unbedrucktes Papier, literweise Tinte und andere Verbrauchsmaterialien beim Drucken wurden außerdem mitgenommen, ebenso tausende Bücher, Broschüren und Zeitungen. Eine beachtliche Beute, die die Anwesenheit des Lkws und des Krans in diesem ekelhaften morgendlichen Konvoi erklärt.

Anderswo in der Stadt treten andere vom Staatsschutz (das K43, Kommissariat für „politisch motivierte Kriminalität“) koordinierte Mannschaften der Polizei die Türen von vier Wohnungen ein, durchsuchen mehrere Keller sowie die anarchistische Bibliothek Frevel. Der juristische Vorwand für diese ganze Operation ist nicht besonders originell: es handelt sich um den berüchtigten § 129, der Paragraph im deutschen Strafrecht, der auf die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ abzielt. Schon immer wurden die Anarchisten, per Definition Gesetzlose – zumindest in ihren Ideen (denn ihre Ränge wurden von der Krankheit des Legalismus und der lähmenden oder kalkulierten Angst vor jeder Überschreitung des Gesetzes nicht verschont) –, von den Staaten verfolgt, indem sie sich solcher Strafrechtsparagraphen bedienten. Bis heute sieht man die Staaten diese legalen Instrumente zücken, um anarchistische Zusammenrottungen zu unterdrücken, die organisationelle Informalität und affinitären Konstellationen anzugreifen, die aus den viel zu steifen Schemata einer ORGANISATION ausbrechen, die immer prekäre Lücke der öffentlichen Initiativen, Treffpunkte und Orte der Verbreitung anarchistischer Ideen einzuschränken, diejenigen, die anarchistische Schriften verfassen und verbreiten, zu entmutigen, wie etwa die anarchistische Wochenzeitung  Zündlumpen, die sich im Fadenkreuz der bayerischen Polizei befindet und die einen der Kleiderständer auszumachen scheint, an dem die Polizisten beabsichtigen andere Elemente ihrer Ermittlungen aufzuhängen.

Gegenteilig zu einer gewissen Rhetorik, die unglücklicherweise unter Gefährtinnen und Gefährten immer noch beliebt ist, die eher Ausdruck einer selbsttröstenden Therapie zu sein scheint, denken wir nicht, dass der Staat unsere Räume, unsere Publikationen und unsere Druckinfrastruktur angreift, weil er Angst vor dem hätte, was die Anarchisten zu sagen haben, oder dass er sich von der Verbreitung unserer Bücher und Zeitungen bedroht fühlen würde. Es ist für ihn nur etwas, das für ihn total einfach geworden ist. Die heutige anarchistische und antiautoritäre „Bewegung“ ist weder in der Lage tausende Personen auf die Straße zu mobilisieren, wenn eine ihrer Druckereien beschlagnahmt wurde (auch wenn es Momente in der Geschichte gab, in der sie das war),  noch ein Gewicht darzustellen, wenn ihre öffentlichen Initiativen von einer polizeilichen Übermacht erstickt werden. Das hat nicht nur mit einer – beachtlichen – quantitativen Verringerung der anarchistischen Reihen zu tun, sondern auch mit der tiefgreifenden Transformation der sozialen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten. Die technologische Umstrukturierung der kapitalistischen Ausbeutung, die Einverleibung fast aller Lebensbereiche in die staatliche Verwaltung und die kapitalistische Sphäre, die Auslöschung jeglicher Gemeinschaftlichkeit, die nicht von der technologischen Hydra produziert wird (auch wenn es wahr ist, dass diese zahlreich sind), ganz zu schweigen vom fürchterlichen Angriff auf die Sprache, ihre furchtbare Verarmung und ihr Austausch mit transportierten Bildern auf allgegenwärtigen Bildschirmen, oder dem Abgrund der Oberflächlichkeit und der Verdummung, in den sich ein Großteil der Menschheit gerade stürzt (oder hineingestoßen wird, letzten Endes ist es egal): all das ist nicht ohne Konsequenzen für das anarchistische Handeln und die Verbreitung anarchistischer Ideen. Demselben ausgesetzt bleiben auch die Anarchisten nicht unbeschadet: auch sie sind von der Lawine der neuen Technologien betroffen, ja werden gar von ihr absorbiert, von der augenblicklichen vermittelten Kommunikation, von der Schwierigkeit, weiter als bis zum nächsten Tag zu denken, oder auch der Schwierigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, von dem es wichtig wäre, es heute zu veröffentlichen und zu verbreiten, und dem, was nur ein tristes Zeugnis der existenziellen Leere ist, die sich ihrer ebenso wie ihrer Zeitgenossen bemächtigt.

Kurz, der Umstand, dass der Staat regelmäßig und mit einer immer sorgloseren Nonchalance die wenigen anarchistischen Räume, die noch sichtbar bleiben, angreift, ist kein Zeugnis unserer Stärke, sondern unserer Schwäche. Ehrlich, alles andere scheint nur leeres Gewäsch zu sein, das die notwendige Reflexion verhindert, ein rhetorisches Sich-Überbieten, um sich nicht mit der Frage zu konfrontieren, die mit jeder beschlagnahmten Zeitung, mit jeder Verfolgung von Anarchisten mit dem kläglichen Vorwand der unlauteren (wahlweise „kriminellen“; „terroristischen“, „subversiven“, „illegalen“, …) Organisation unumgänglich wird: wie weiter handeln in dieser Ära der technologischen Finsternis, wo das Bewusstsein erlischt und unsere geistigen Wälder gerodet werden? Mit welcher Methodologie, welchen Organisationsformen, welchen Initiativen, um [nicht] dieselben Fehler zu machen? Wenn man nur die stolze Versicherung teilen kann, dass wir uns bis zum Schluss weigern werden, unsere Ideen anzupassen, dass wir uns gegen die Verflachung zur Wehr setzen werden, auch wenn wir damit zu den letzten Mohikanern werden, die die Vorstellung einer vollständigen Freiheit verteidigen, glauben wir, dass wir die Konditionen, in denen wir handeln, verstehen müssen anstatt sie zu ignorieren.

Eine so grob totalitäre Operation wie die Beschlagnahme von Druckmaschinen (erinnern wir uns daran, dass zu Zeiten der systematischen Zensur, die auf anarchistische Publikationen angewandt wurde, der Staat sich zumeist darauf beschränkte, die als zu heftig oder den Rahmen der „freien Meinungsäußerung“ überschreitend, sodass sie zum „Aufruf zu Straftaten“ werden, eingestuften Passagen zu schwärzen, in den extremeren Fällen das Gedruckte – nicht aber die Druckwerkzeuge – zu beschlagnahmen) etwas ist, das alle Anarchisten betrifft, egal, welchen Aktivitäten sie sich verschreiben oder welche Wege sie zu beschreiten gewählt haben. Nicht weil sie den Beweis liefert, dass das anarchistische Wort immer eine Gefahr für die Stabilität des Staates darstellt, noch dass sie den alten Glauben wiederbelebt, der das Nahen der Revolution als Resultat des Aufwachens des eingeschlafenen Bewusstseins dank der unermüdlichen Aktivitäten der anarchistischen Propagandisten, die selbst nie schlafen, betrachtet. Nein, sie betrifft uns alle, weil sie ein Hinweis auf den Zustand der Welt ist, den Zustand der sozialen Beziehungen und der nahen Zukunft, in der wir gezwungen sein werden zu handeln – oder aufzugeben. Ohne in den Chor der legalistischen Empörung einstimmen zu wollen, kann man dennoch sagen, dass die Beschlagnahme von Druckereien, die Schließung öffentlicher Treffpunkte, die Auflösung relativ offener Gruppierungen uns in eine andere Dimension der Repression versetzen, die letztlich absolut „normal“ oder „logisch“ ist, die darauf abzielt, diejenigen außer Gefecht zu setzen, die herrschaftliche Strukturen und Personen physisch angreifen. Auch wenn diese beiden Dimensionen immer zusammengehören und nicht so getrennt sind, wie es einige gerne glauben würden, erinnert das Mitbringen eines 40-Tonners, um eine Papierschneidemaschine und eine Letterpress mit Bleisätzen zu beschlagnahmen, eher an geläufige Maßnahmen in anderen Regimen. In dieser Epoche der industriellen und technologischen Flucht nach vorn, die offen pluralistisch, aber zutiefst totalitär ist, könnte uns eine solche Praxis, die überflüssig geworden zu sein schien, erneut überraschen – besonders da die beste Art und Weise, um jede mögliche Gefahr zu neutralisieren, die von der Verbreitung anarchistischer Schriften ausgehen könnte, natürlich in der laufenden Virtualisierung besteht, in ihrer technologischen Derealisierung. Doch nichts verschwindet für immer und alles bleibt potentiell präsent.

Die Verallgemeinerung der Lohnarbeit hat die Sklaverei nicht vollständig abgeschafft, die Errichtung von Atomkraftwerken hat die Kohleminen nicht verschwinden lassen, die Rationalisierung der Produktion hat die handwerklichen Minen nicht in den Mülleimer der Geschichte verbannt. Dieser Fortschrittsmythos scheint heute die Kehrseite der Realität zu erleiden, die den Schleier der Derealisierung zerreißt. Viele Dinge, die der Mythos in eine Vergangenheit verbannt hatte, die nie mehr wiederkehren würde, sind heute dabei ihren Platz in einer Realität einzunehmen, aus der sie letztlich niemals vollständig verschwunden waren. Der Krieg bricht erneut auf dem europäischen Kontinent aus, Knappheit wird sogar in den Supermarktregalen sichtbar, die Bedrohung einer atomaren Vernichtung addiert sich zu den genozidalen Praktiken, die die Konflikte begleiten, der Klimawandel lässt das Schreckgespenst der Hungersnot und der Ausrottung  über immer mehr Bewohner dieses leidenden Planeten schweben: In einem solchen Szenario sollte uns die Beschlagnahme einer anarchistischen Druckerei nicht überraschen. Die Epoche, in der es notwendig war, Druckereien zu verstecken, unauffällige Papierlager anzulegen, eine unterirdische und feine Verteilung der Neuigkeiten des Kampfes und der Vertiefungen des Denkens zu organisieren, ist sicherlich nicht von der Weltbühne verschwunden. Die Konditionen für solche Szenarien, auch im Schatten westlicher toleranter Demokratien, vereinigen sich immer mehr und werden sich verschärfen, je mehr die sozialen Spannungen steigen und die Ungleichgewichte sich ausbreiten.

Das ist der Grund, aus dem die Beschlagnahme einer anarchistischen Druckerei in München eine Angelegenheit ist, die uns allesamt betrifft.


 Avis de Tempêtes #53 vom 15. Mai 2022. Übersetzt aus dem Französischen von Zündlappen.

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Kriegslogiken

Posted on 2022/03/25 - 2022/03/25 by avisbabel

Seite beziehen. Wenn während des ersten Weltkriegs die furchtbare Stellungnahme von Kropotkin für den Sieg eines Teils der Krieg führenden Staaten im Namen der emanzipatorischen Hoffnung selbst berühmt geworden ist, trotz der damaligen Antworten anderer Anarchisten darauf, so liegt das zweifelsohne daran, dass sie das immer mögliche Versagen des Internationalismus und des Antimilitarismus verkörpert. Eine nicht mal originelle, Seite beziehende Position, da die damals wesentlichen sozialistischen Parteien und Arbeitergewerkschaften bereits den Sirenen der nationalen Einheit verfallen waren und sich hinter ihren eigenen kriegstreibenden Staaten eingereiht hatten. Auch wenn es absurd wäre zu vergessen, dass einige Anarchisten manchmal unter Zugzwang ins Wanken gerieten – auch in anderen Situationen wie etwa im Bürgerkrieg (erinnern wir uns an das Dilemma „Krieg oder Revolution?“, in dem die spanische CNT sich für ersteres aussprach) –, wäre es trotzdem etwas voreilig, nur das in Erinnerung zu behalten.

Im Laufe der Kriege, die im letzten Jahrhundert geführt und in die die Gefährten verwickelt wurden, konnten auch zahlreiche subversive Interventionen kompromisslos gegen diese gerichtet umgesetzt werden, angepasst an den Ort, an dem sich die Gefährten befanden, wie etwa autonome (normalerweise dezentralisierte und koordinierte) Kampfgruppen zu bilden, Hilfsnetzwerke für Deserteure beider Seiten aufzubauen, Sabotagen gegen den militaro-industriellen Apparat hinter der Front zu verüben, die Mobilisierung der Menschen zu untergraben und die nationale Einheit zu sprengen, die Unzufriedenheit und die Kriegsverdrossenheit zu schüren und zu versuchen, diese Kriege für das Vaterland in Aufstände für die Freiheit zu verwandeln. Man wird uns vielleicht entgegnen, dass die Umstände sich seit diesen Experimenten stark verändert hätten, aber sicherlich nicht zu dem Punkt, dass man nicht mehr aus diesem Arsenal schöpfen könnte, wenn man in diese Feindlichkeiten hineinintervenieren möchte, d. h. indem man zuerst von den eigenen Ideen und Projektualitäten ausgeht als vom geringeren Übel, das darin besteht die Seite und die Interessen eines Staates gegen einen anderen zu unterstützen. Denn wenn wir gegen den Frieden der Herrschaft sind, gegen den Frieden der Verdummung und des Gehorsams, sind wir natürlich auch gegen den Krieg. Weil Krieg und Frieden tatsächlich zwei Begriffe sind, die eine gleiche Kontinuität der kapitalistischen Ausbeutung und der staatlichen Herrschaft abdecken.

Energie. Unter den verschiedenen großspurig angekündigten Sanktionspaketen, die von den westlichen Staaten verhängt wurden, um ihren russischen Gegenspieler an seinem Kopf und seiner Basis zu treffen, hätte jeder die ausgefeilten kleinen Betrügereien bemerken können. Unter den gewichtigen Ausnahmen dieser Sanktionen (die momentan ihre vierte Salve abfeuern) befinden sich momentan tatsächlich die russischen Exporte energetischer (Erdöl und Gas) und bergbaulicher Rohstoffe. Und das trifft sich gut, da Russland 40 % des Palladiums und 25 % des Titans auf der Welt produziert, der weltweit zweitgrößte Produzent von Aluminium und Gas ist, sowie der drittgrößte von Nickel und Erdöl. Alles Stoffe, deren Kurse seit dem Beginn der Invasion in das ukrainische Gebiet explodieren, sodass Russland noch mehr Einnahmen abgreift… die ihm übrigens hauptsächlich von den Mächtigen derselben Länder verschafft werden, die ununterbrochen humanistische Schreckensschreie aufgrund der momentanen Situation ausstoßen. Um nur ein Beispiel zu nennen: seit Kriegsbeginn zahlt die Europäische Union Russland täglich 400 Million Dollar für sein Gas und etwa 280 Millionen Dollar für sein Erdöl, deren Zahlungen die beiden Banken in Empfang nehmen, die von den Finanzsanktionen verschont wurden (und das aus guten Gründen!), die Sberbank und die Gazprombank. Die enormen Summen von all dem Rest, der für die westliche Automobilindustrie (Palladium), Aeronautik und Verteidigung (Titan) und die westlichen elektrischen Batterien (Nickel) unerlässlich ist, ersparen wir euch an dieser Stelle mal.

Wenn man sagt, dass der Krieg hier beginnt, dann ähnelt das häufig einem einfachen Wiederkäuen eines alten ideologischen Slogans des letzten Jahrhunderts, doch wenn heute jemand auf die Idee käme sich zu fragen, wer tatsächlich den russischen Angriff finanziert, könnte er sich denselben zuwenden, die die Gegenseite, die ukrainische Verteidigung, finanzieren: es handelt sich um das techno-industrielle System der westlichen Staaten, das für so eine Kleinigkeit nicht aufhören wird in vollen Touren zu laufen, insbesondere da der Krieg, die Massaker und die Zerstörungen auf dem Planeten bereits intrinsisch Teil seiner Funktionsweise sind.

Und um die Ironie perfekt zu machen, gibt es unterschiedliche Interessen, von denen die beiden Kriegsparteien sich tunlichst hüten, diese in diesem mörderischen Krieg aufs Spiel zu setzen, um ihren gemeinsamen westlichen Financiers nicht zu schaden: die zwei gigantischen Gaspipelines Brotherhood und Soyouz, die aus Russland kommen und anschließend das ganze ukrainische Gebiet durchqueren, ehe sie in Richtung Deutschland und Italien abzweigen. Ähnlich verhält es sich auch damit, dass keine der beiden Kriegsparteien andere ebenso für die nationale Wirtschaft empfindliche Ziele anzurühren wagt, weil sie lebenswichtig für die aeronautischen Industrien der europäischen Verteidigung sind (insbesondere Airbus und Safran), wie die Titanfabrik der Gruppe VSMPO-Avisma, die sich in der immer noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden Stadt Nikopol befindet, und trotzdem direktes Eigentum des Hauptexporteurs des russischen militaro-industriellen Komplexes Rosoboronexport ist. Das, was wie ein Paradoxon wirken könnte, ist in Wirklichkeit nur die bittere Illustration einer der Charakteristiken zwischenstaatlicher Kriege: auch wenn sie sie ohne zu zögern im Namen des nationalistischen, religiösen oder ethnischen Hasses vom Zaune brechen, sind es selten die Mächtigen, die dafür zahlen müssen – da sie offensichtlich in der Lage sind sich wenn nötig untereinander zu einigen –, sondern die Bevölkerungen, die alle mörderischen Konsequenzen erleiden müssen. Ein bisschen wie der Umstand, dass Frankreich Russland von 2014 bis 2020 weiterhin mit Wärmebildkameras beliefert hat, um seine Panzer auszustatten, die momentan im Krieg in der Ukraine eingesetzt werden, oder mit Navigationssystemen und Infrarotdetektoren für seine Jagdflieger und seine Helikopter, während Frankreich nun die Ukraine mit Luft- und Panzerabwehrraketen ausstattet. Was die Energie wie das militärische Equipment betrifft, sind die Financiers und die Profiteure des Krieges ebenfalls hier, und hier ist es auch, wo wir sie bekämpfen können.

Einer der Vorteile der Bildung kleiner autonomer Gruppen, die über ihre Ziele wie über ihre Zeitlichkeit – für jene hier, die den Krieg mit einem anderen Blick betrachten, und jene, die woanders nicht die Gelegenheit zur Flucht haben oder sich freiwillig dafür entscheiden zu bleiben –selbst entscheiden, könnte also beispielsweise in der Sabotage der gemeinsamen kapitalistischen und strategischen Interessen der Herrscher beider Staaten und ihrer Verbündeten liegen, die so anschließend weder dem einen noch dem anderen von Nutzen sein können, egal wer der Sieger ist. Gewiss, eine andere Möglichkeit, die aber keineswegs vom Himmel fallen kann angesichts der Schwierigkeiten, die es zu meistern gilt, was eventuell bedarf, dass sie bereits vorher entwickelt und vorbereitet wurde, insbesondere mithilfe organisationeller Werkzeuge, die das Teilen von Bemühungen, Wissen und adäquaten Mitteln erleichtern. Diese alte Frage der Interessen im Spiel hat übrigens bereits die Netzwerke französischer Widerstandskämpfer unter der deutschen Besatzung beschäftigt, deren Kommando wie das der anglo-amerikanischen Dienste selbstverständlich darauf bestand, dass ihre Industriesabotagen von jenem sensiblen Standort oder jener Struktur auf jeden Fall behebbar bleiben müssten, sodass die Produktion des Feindes nur verlangsamt wurde, oder dass sie nur Ziele zerstören, die für das zukünftige Neustarten des Landes nicht kritisch sind.

Subjekte. In diesem schmutzigen Krieg, in dem momentan intensive Kämpfe in städtischen Zonen vermieden werden, ist die russische Armee seit mehreren Wochen damit beschäftigt mehrere Städte einzukreisen und intensiv zu bombardieren, einer Taktik gemäß, die sich bereits in Aleppo bewährt hat. In Mariupol beispielsweise, wo 300 000 Personen belagert unter fürchterlichen Bedingungen überleben, haben viele auf ihre Kosten verstehen müssen, dass sie in Wirklichkeit unter dem Feuer beider Staaten als Geiseln genommen wurden. Inmitten der zerstörten Gebäude ist es so ihre eigene Armee, der zahlreiche kleine Gruppen von hungernden Zivilisten entgegentreten müssen, wenn sie sich aus ihren Unterschlüpfen wagen, um in den verlassenen Geschäften nach Nahrungsmitteln zu suchen.

Um sein Monopol in den Ruinen aufrechtzuerhalten und weiterhin jegliche Ressource prioritär den bewaffneten Männern zukommen zu lassen, hat der ukrainische Staat also den Freiwilligen der Brigaden der Territorialen Verteidigung (Teroborona) nicht nur die Aufgabe übertragen, seine kritischen Infrastrukturen in zweiter Linie zu verteidigen, sondern auch jene, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, was beispielsweise die Plünderungsversuche der Verzweifelten umfasst. Für einen Staat, der das Kriegsrecht ausgerufen hat, während er in den bombardierten Städten kontrollierte Formen der Selbstorganisierung, die erlauben die eigenen Mängel zu ergänzen, wesentlich toleriert, sei es natürlich die patriotische Pflicht, auf die einem zugestandenen Krümel mit leerem Bauch zu warten, während man das Wasser aus den Heizkörpern trinkt, da es wohlbekannt ist, dass Plünderungen des allerheiligsten verlassenen Eigentums nur von feindlichen Soldaten oder von Verrätern kommen kann, wie es die täglichen Befehle einhämmern. Und über die tragische Situation in Mariupol hinaus handelt es sich um dieselbe Logik, die in der Hauptstadt Kiew, während sie immer weiter von den russischen Truppen eingekreist wird, zur Anwendung kommt, diesmal mit Ausgangssperren, bei der die letzte nicht mehr nächtlich war, sondern 36 Stunden am Stück umfasste, um der Armee und der Polizei die Priorität zu geben, und in der man „jede Person, die sich in diesem Zeitraum auf der Straße befindet, als Mitglied von Gruppen feindlicher Saboteure“ betrachtete, mit allen Konsequenzen, die das mit sich zieht.

Auch hier ist die Feststellung, dass der Staat seinen eisernen Arm in Kriegszeiten noch mehr als in Friedenszeiten nicht nur auf den Geist, sondern auch auf die Körper all seiner Subjekte auflegt, nicht nur eine abgedroschene Phrase: Kanon- oder Bombenfutter, auf der Suche nach Essen oder nach Komplizen, um sich außerhalb des staatlichen Joches selbst zu organisieren, oder auch nur um eine andere Luft zu atmen als die in der Enge der Unterschlüpfe oder um sich selbst ein Bild zu machen, jeder Individualität wird befohlen, sich auf dem Schachbrett der zwei anwesenden Armeen freiwillig oder mittels Zwang aufzulösen. Eine Situation, die sich offensichtlich bis an die westlichen Grenzen der Ukraine erstreckt, die mehr als drei Millionen Flüchtende bereits überquert haben… nachdem sie penibel kontrolliert wurden, um alle wehrfähigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren unter ihnen zu entfernen. Während sich eine Welle der Unterstützung der Familien auf beiden Seiten der Grenze ausgebreitet hat, betrifft einer der bemerkenswertesten Aspekte jedoch die feine Solidarität mit jenen, die sich weigern zu kämpfen und nicht die Möglichkeit haben den korrupten ukrainischen Grenzern 1500 € zu zahlen, die gerade anfängt sich trotz der Feindseligkeit eines Teils der Bewohner zu bilden. Insbesondere durch das Verteilen gefälschter Atteste und Spenden biometrischer Pässe, das einzige offizielle Dokument, das in Ungarn oder in Rumänien während der ersten zwei Wochen des Konflikts akzeptiert wurde, um die Geflüchteten ihr Territorium betreten zu lassen.

Sortieren, auswählen, piorisieren, registrieren, klassifizieren, um an den Grenzen die guten Armen von den schlechten Armen (ihre Nationalität eingeschlossen, wie es die Staatsangehörigen von afrikanischen Ländern am eigenen Leib erfahren mussten) zu trennen, ist natürlich keine Besonderheit des ukrainischen Staates in Kriegszeiten, sondern die Kontinuität einer weitläufigen Hölle der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, ökonomischen Kuhhandels und geostrategischer Imperative. Das ist der Grund, aus dem die einen dazu verurteilt werden im Mittelmeer zu ertrinken, die anderen in den Lagern des UNHCR zu vegetieren, um in benachbarten Territorien festgehalten zu werden, und die letzten glorreich ihrem Vaterland zu dienen oder als Lohnsklaven in reichen Ländern, die immer auf der Suche nach ausbeutbarer Arbeitskraft zu einem Spottpreis sind. Denn letzten Endes rührt die Grausamkeit der Herrschaft – die sich nie so sehr enthüllt wie in Kriegen, im Elend und den Massakern, die sie hervorruft – zuerst vielleicht davon her: ihrem intrinsischen Anspruch, als Herrin im Namen ihrer eigenen Interessen auf dem Gebiet, das sie kontrolliert, zu herrschen, und zu versuchen jedes Lebewesen, das sie beherrscht, in austauschbare Subjekte zu verwandeln, zum Preis ihrer Vernichtung als Individuen.

Dringlichkeit. Seit Jahren schon werden Wellen von Bedrohungen aus allen Windrichtungen hochgehalten und instrumentalisiert, um die Angst innerhalb einer immer militarisierteren Verwaltung des sozialen „Friedens“ zu destillieren: Terrorismus, Naturkatastrophe, Covid-19… oder nun die mögliche nukleare Entfesselung in der Ausweitung des Konflikts an den Außengrenzen Europas. Und natürlich wird die kleine Musik des xten Opfers, das gebracht werden muss, um in Reih und Glied hinterm Staat zuzustimmen, immer schriller. Doch ist es im Grunde vielleicht wahr, dass es etwas zu opfern gäbe, ohne dass man dafür tausende Kilometer zurücklegen muss. Denn dieses weitläufige System des Todes im großen Maßstab, wird es nicht von einer Energie, einer Industrie, Transporten, Kommunikationen und einer Technologie genährt, die täglich vor unserer Nase vorbeiziehen? Den Krieg der Welt zurückzugeben, die ihn hervorbringt, indem man seinen Nachschub unterbricht, wäre also eine andere Art und Weise, um die Reihen des Feindes zu durchbrechen, indem man überall den Konflikt gegen ihn verbreitet.

Avis de Tempêtes #51, 15. März 2022. Übersetz aus dem Französischen von Zündlappen.

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Sich vorantastend…

Posted on 2022/03/01 - 2022/03/01 by avisbabel

Alleine im Wald?

«Isère: Verschwörungstheoretiker voller Wut gegen den Staat fackelte Funkmasten ab»

«Drôme: Der Brandstifter von Pierrelatte: Gegen 5G, aber nicht gegen Glasfaser»

«Rhône: Zwei Mönche für das Abfackeln von 5G-Funkmasten verhaftet»

«Paris: Der Impfgegner sabotiert 26 5G-Antennen, um Frankreich vor den Covid-19-Verschwörungen zu retten»

Presseschlagzeilen der letzten Monate

Die Staatsbehörden haben seit 2018 hunderte Sabotagen gegen Telekommunikationsinfrastruktur registriert. Abgefackelte Funkmasten, durchgeschnittene Glasfaserkabel, verkohlte Verteiler, zerstörte Telefonschränke: diese Praktiken haben sich auf das gesamte Territorium ausgebreitet und haben definitiv in den letzten zwei Jahren eine quantitative Steigerung erfahren. Die Qualität der nächtlichen Aktivitäten der Saboteure und Saboteurinnen scheint ebenfalls einen Sprung gemacht zu haben: es kam zu Sabotagen, die besonders sensible Knotenpunkte trafen, andere waren koordiniert oder wiederholten sich in derselben geographischen Zone, andere zielten auf die Störung der Kommunikation einer genauen Struktur, Zone oder eines genauen Moments ab… Kurz, trotz der wiederholten Warnungen der Autoritäten, der Alarmschreie der Anbieter und einer nicht zu vernachlässigenden Zahl an Festnahmen zielen Angriffe weiterhin auf diese Infrastrukturen, die sich schwer vor einem verstohlenen Schnitt mit der Zange oder einem nächtlichen Brand schützen lassen.

Während letztere unleugbar die Venen der technologischen Herrschaft anvisierten, bleiben die individuellen Beweggründe und die darüber hinausgehenden Sehnsüchte der Hände, die diese vollbrachten, hingegen häufig im Dunkeln. Die Repression, deren eine primäre Aufgabe es natürlich ist, die Urheber der Missetaten, die das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft durcheinander bringen, zu identifizieren, hat dennoch ein wenig die Diversität der Personen enthüllt, die sich auf Spaziergänge im Mondschein begeben. Auch wenn man dabei mit den Informationen vorsichtig sein muss, die in den Zeitungen veröffentlicht werden, ebenso wie mit den Anliegen der Verurteilten, die von Journalisten „zitiert“ werden, und ebenso vermeiden will, für uns die „Profile“ und „Kategorien“ zu übernehmen, die von den Staatsbehörden zum Zwecke der Kartographierung, der Aktenführung und der Repression etabliert wurden, hat man in diesen letzten Jahren äußerst unterschiedliche Personen gesehen, die für Angriffe auf die permanente Konnektivität verurteilt wurden. Während der Glanzzeiten der Gelbwesten haben beispielsweise zahlreiche Kleingruppen Sabotagen innerhalb oder am Rande dieser Bewegung der heterogenen Revolte verübt. Andere Verurteilte betonten vor dem Gericht ihre ökologische Sensibilität, ihren Widerstand gegen 5G wegen seiner schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt, ihre linke Gesinnung oder ihre Verweigerung der Kontrolle. Andere wieder, auch mit belastenden Beweisen und letzten Endes Verurteilungen konfrontiert, weigerten sich bis zum Ende vor Gericht oder in der Presse lange Erklärungen abzugeben. Hinter ihrer sturen Stummheit könnten sich sicherlich wenig freiheitliche Ansichten verstecken, allerdings heißt der Umstand, dass man keinen Sinn darin sieht, seine Spannungen und seine Ideen einem Journalisten zu erklären, sicherlich nicht, dass man notwendigerweise kein „Problem damit hat mit Verschwörungstheoretikern oder Rechtsextremen in Verbindung gebracht zu werden“. Genauso wie der Umstand, dass man nicht Teil eines mehr oder weniger „militanten“ Milieus ist, dass man kein „Solidaritätskomitee“ hat, das die eigenen Ideen verteidigt, sobald die Bullen sich auf einen stürzen, dass man keine öffentlichen Briefe schreibt, um unsere Handlungen zu erklären, nicht heißt, dass man automatisch Teil der „Faschos“ ist, die planen einen Rassenkrieg durch das Verursachen von Chaos auszulösen, oder der „Verschwörungstheoretiker“, die sich den Kopf im digitalen Netz vollstopfen lassen, oder der „Fundis“, die die neuen Technologien als Werk des Teufels betrachten.

In den letzten Monaten haben Presseschlagzeilen wie jene am Anfang des Textes zitierten etwas, das einige das „Wohlwollen“ gegenüber dem Schweigen der Urheber von Angriffen nennen würden, strapaziert, was sogar so weit ging, bei Gefährten einen existenziellen Fieberschub auszulösen. Die Logik scheint dabei standzuhalten: wenn es erwiesenermaßen hinter all den anonymen Angriffen – ja, das muss man hier erklären, die meisten Angriffe gegen die Telekommunikationsinfrastruktur wurden nicht von einem Communiqué begleitet und haben weder den Ermittlern noch den wachsamen Hütern der Genealogie einen Hinweis auf die ideologische Gesinnung gegeben – manchmal wenig empfehlenswerte Leute wie Gotteserleuchtete, patriotische Aktivisten oder besonders verwirrte Personen gegeben hat, die sich in irgendwas verrannt haben,… dann muss also jeder anonyme Angriff als etwas behandelt werden, das möglicherweise, sehr möglicherweise, von wenig empfehlenswerten Leuten kommt.

Der logische Fehler springt einem sofort ins Auge, doch was für eine Bedeutung haben schon die Überlegungen, die Argumente, die kritischen Evaluationen oder die Vertiefungen, wenn es einfacher ist sich alleine im Wald zu wähnen anstatt zu begreifen, dass nicht verachtenswerte Personen, die man nicht kennt und die vielleicht, ja wahrscheinlich, sehr unterschiedliche Visionen und Empfindsamkeiten von den unsrigen haben, ebenfalls durch das Unterholz schleichen könnten. Alleine im Wald, alleine wie Anarchisten, edle Diener eines höheren Ideals, ohne Widersprüche in unserem Leben, ohne „Schandflecken“ auf unserem ererbten Wappen, ohne Zweifel in unserem Denken und ohne „Fehl und Tadel“ in unseren Beziehungen und unserer Lebensweise, klar wie ein Vollmond und ohne eine einzige „revolutionäre“ oder „aufständische Illusion“. Trotzdem, auch wenn es immer möglich ist, sich selbst in die Tasche zu lügen, auch wenn es immer möglich ist sich ein Kartenhaus zu errichten, das der erste Windhauch der Realität wie Sand davonfegen wird, gibt es auch andere Wege, die sich nicht von der Welt, die uns umgebt, abgrenzen, die es nicht nötig haben unsere Ideen und jene, die sie verkörpern, auf ein Podest überhalb jeder Möglichkeit eines Fehlers zu erheben, um dem Kampf einen Sinn und unserem Leben Bedeutung zu verleihen.

Denn wir sind im Wald nicht allein. Wir sind nicht die einzigen menschlichen Faktoren der Unordnung, genauso wie die Menschen nicht mal der einzige Faktor sind, der die fragilen Gleichgewichte, auf denen die Welt in voller vernichtender Niederlage sich fortzubewegen sucht, ins Schwanken bringt. Andere Personen handeln, vielleicht mit weniger vertieften Ideen als den deinen, mit feineren Empfindsamkeiten als den meinen, von einem unmittelbaren Verlangen nach Rache gegen ein tödliches System bewegt, von einer finsteren Rache gegen ein Leben, dem jeder Sinn genommen wurde, ebenso wie von einem ideologischen oder religiösen Glauben, der in Konflikt ist mit dem technologischen Marsch der Welt.

Die Gründe

«Weil im Grunde das Wesentliche der Frage nicht die vermuteten Beweggründe von absoluten Unbekannten, über die man sowieso niemals etwas wissen wird (außer im Falle einer eventuellen Verhaftung, die wir niemandem wünschen), betrifft, sondern wie wir, innerhalb des sozialen Krieges, unsere Handlungen, die zu uns sprechen und mit unseren Ideen vibrieren, widerhallen lassen wollen. Ob sie nun kollektiv sind oder individuell, diffus oder sehr konkret, breit teilbar oder bösartig ketzerisch, komplett anonym oder subversiv gelabelt, im Schatten der Projektoren oder von ihren Urhebern auf verschiedene Weisen publik gemacht.»

Wanted interconnectés, Juli 2021

Angesichts der Feststellung, dass der Wald nicht nur Anarchisten Schutz bietet, öffnen sich im Großen und Ganzen zwei Möglichkeiten mit wie immer tausenden dazwischen liegenden Nuancen.

Die erste besteht darin zu denken, dass angesichts dessen, dass niemand anderes als wir anarchistische Ideen teilt (zumindest in ihrer Ganzheit, die sie stark von anderen Ideologien unterscheiden, die man mehr oder weniger je nach Situation und Präferenz des Moments in Stückchen zerschneiden kann), alle „Akte der Revolte“, alle „Momente der Unordnung“, alle „Fragmente des sozialen Kriegs“ oder wie auch immer man das nennen will, sicherlich das Panorama, den Hintergrund ausmachen, in dem wir handeln, aber dass wir uns davor hüten müssen, ihnen irgendwelche Beweggründe zu unterstellen. Dann, je mehr im Laufe der Zeit Beweggründe dem Zwielicht des Waldes entfliehen und diesen Handlungen eine bestimmte Farbe verleihen, eine Farbe, die uns aus Prinzip schon nicht ganz und gar gefallen kann (da schließlich die Anarchisten die einzigen sind, die anarchistische Ideen teilen), desto mehr wird es nötig sein unsere Absichten und Beweggründe gegenüber denen der anderen zu betonen oder klarzustellen. Denn jedes Schweigen von unserer Seite aus könnte Wasser auf den Mühlen der Absichten und Beweggründe sein, die wir nicht teilen. Wir sind also dazu gezwungen Fackeln inmitten des Wald zu entfachen, und dafür zu sorgen, dass die Scheiterhaufen, die wir damit entzünden, stärker, höher und heller brennen als die der anderen. Und dabei stark zu riskieren, dass in Wirklichkeit die anarchistische Identität unsere Hauptsorge wird, dass man damit endet (einschließlich in unseren eigenen Kreisen) eine Art von Katechismus zu etablieren, der die guten und die schlechten Punkte abhakt, und damit letztlich darin versagt, die Diversität und den Reichtum der Individualitäten als eine Frucht der Freiheit zu begreifen, sondern als eine fürchterliche Bedrohung.

Die zweite Möglichkeit bleibt immer noch diejenige, von uns selbst auszugehen, von unseren anarchistischen Ideen und Antrieben, aber die anderen „Faktoren der Unordnung“ nicht als Dinge zu begreifen, die es zu assimilieren oder sie derart zu präsentieren gilt, als seien sie – unbewusst und begraben – vom heiligen Feuer der Anarchie inspiriert, sonder einfach als Elemente, die ihr Gewicht und ihre Bedeutung im konkreten (und nicht etwa platonischen oder idealistischen) Krieg, der von den Menschen geführt wird, haben. Ein „sozialer“ Krieg, wenn man so will, im Sinne, in dem dieser die ganze Gesellschaft durchzieht und um die Frage der Herrschaft (in all ihren Deklinationen) kreist, und wo die Anarchisten jene sind, die die Notwendigkeit der Zerstörung der Herrschaft anstatt ihrer Reorganisierung verteidigen. Dieser „soziale Krieg“ ist nicht der Ausdruck einer Spannung in Richtung der „totalen Befreiung“ oder „der Anarchie“, er macht nur den Konflikt aus, aus dem die sozialen Beziehungen geboren werden und sich verändern, die wiederum im Gegenzug die Modalitäten dieses „sozialen Krieges“ prägen. Die von jenen, die an diesem Krieg beteiligt sind, stillschweigend oder explizit geäußerten Beweggründe müssen also in ihren historischen Kontext platziert und nicht extrahiert werden, um sie dann im Pantheon der Abstraktionen zu vergleichen.

Ohne natürlich ihr Gewicht zu leugnen, nimmt diese zweite Möglichkeit (entschuldigt mich für diese viel zu grobe Schematisierung) damit diese Beweggründe nicht als die einzige Referenz, als einzigen Hinweis der Realität, sondern als eine unter anderen. Das Bedürfnis eine Genealogie der „Akte der Revolte“ herzustellen, die Beweggründe der Urheber herauszufinden, ist viel weniger spürbar – ebenso das Bedürfnis systematisch Erklärungen der eigenen zu liefern. Der Erklärung der Handlungen macht damit Platz für die Elaborierung einer Projektualität, die danach strebt über jede einzelne von ihnen hinauszugehen, und der Umstand, dass diese Projektualität aufständische (die Entfesselung einer Situation des Bruchs) oder andere Absichten hat, macht dabei nicht notwendigerweise einen großen Unterschied. Es stimmt, wie es einige Kritiken betonen, dass dies dazu führen kann, das Gewicht der Beweggründe komplett beiseite zu schieben und damit zu riskieren, angesichts dieses Faktors blind zu werden, der tatsächlich zwar nicht der einzige ist, trotzdem aber einer bleibt. In diesem Fall, wenn die „Beweggründe“ hinter den Akten der Revolte nicht das exklusive Element sind, die die Anarchisten in dem, was sie verursachen, interessiert, darf das aber ebenso nicht dazu führen, ihren Einfluss auf die Realität des sozialen Kriegs komplett zu leugnen.

Handlungen, die für sich selbst sprechen?

«Nichts von dem, das geäußert wird, kann so von Drohung beladen sein wie jenes, das es nicht ist.»

Stig Dagerman

In der komplexen Realität, die die unsere ist, sind die Dinge natürlich noch komplizierter und enden sogar damit, jeden Schematismus und jedes Begreifen in ein schönes Chaos zu stürzen und dabei einige zusätzliche Bemerkungen nötig zu machen.

Einerseits, wenn das Schweigen der Aufständischen manchmal letztlich das Gewicht der Beweggründe verdunkelt, antwortet es andererseits auf die praktische Notwendigkeit, dem staatlichen Feind keinen Hinweis zu geben. Auf dieselbe Weise, wenn man einerseits nur schwerlich die Notwendigkeit bezweifelt, seine Gründe in einem wirren Kontext klarzustellen, ja gar in einem Kontext der scharfen Unzufriedenheit, die mit einer strategischen Projektion der Neofaschisten zusammenprallt (wie der gegenwärtige Widerstand gegen den »Pass Sanitaire« und die Angriffe auf Strukturen wie die Impfzentren), muss man andererseits klarsichtig bleiben, was das begrenzte Gewicht von Worten betrifft und was sie auszudrücken und zu vermitteln vermögen. Das gilt natürlich für jeden sprachlichen Ausdruck, vom Plakat zum Flyer und der Diskussion bis hin zur Zeitung oder einem Bekennerschreiben: alle sind von der Fähigkeit des anderen abhängig, das, was geschrieben oder gesagt wurde, zu verstehen.

Wenn man beispielsweise weiterhin in der Lage sein will, die Handlungen der anderen als diverse Ausdrücke innerhalb des „sozialen Krieges“ gut zu finden – von Angriffen auf Bullen in den Banlieues bis hin zu anonymen Infrastruktursabotagen –, muss man offensichtlich eine andere Weise finden das zu tun, als alles auf der kleinen Waage des Anarchismus abzuwägen. Oder wenn doch, müsste man sich definitiv darauf beschränken nur Handlungen zu erwähnen, zu denen sich vorschriftsgemäß Anarchisten bekannt haben, das einzige Mittel um radikal jedes Risiko der Spekulation, voreiligen Zustimmung oder ungesunden Nachforschung zu vermeiden – wohl wissend, dass auch das nur vorläufig sein kann, weil der Anarchist, der gestern eine schöne Handlung vollbracht hat, sich heute immer noch als Drecksack in seinen alltäglichen Beziehungen entpuppen oder morgen seine Meinung ändern kann…

Auf jeden Fall bleibt es im Grunde natürlich wichtig sich die Zeit zu nehmen unsere Beziehungen zu den anderen Lebewesen im Wald auf kritische Art und Weise zu vertiefen, ebenso unsere Art und Weise zu handeln. Jedoch, ebenso wie es tatsächlich weder ein Rezept gibt, das man einfach anwenden, noch ein Dogma, das man einfach hinunterbeten kann, kann es umgekehrt auch keine zu befolgenden Bedienungshinweise dazu geben, „wie man etwas macht“, deren Missachtung mit der Anklage, sich hinter Faschos und anderen Erleuchteten verstecken zu wollen, geahndet wird. Niemand, nicht einmal die borniertesten unter ihnen, werden wagen den Gefährtinnen und Gefährten die Verpflichtung aufzuerlegen ihre Handlungen zu erklären, ihr Projekt detailliert vorzustellen und zu rechtfertigen, ihre Handlungen hinsichtlich gewisser Vorgaben zu labeln, nur um der Bissigkeit irgendeines Chronisten des sozialen Krieges zu entgehen. Es wird immer jeder und jedem einzelnen zufallen, so zu handeln, wie es ihr oder ihm am besten scheint. Auf die Gefahr hin, die einen in Unwissenheit und Unverständnis zu lassen, und den Schatten zu bewahren um die Aktivitäten der anderen zu decken. Auf die Gefahr hin, die einen durch eine Erklärung, die als zu unredlich beurteilt wird, zu enttäuschen, oder andere durch die klare und präzise Darlegung von Ideen und Gefühlen, die einen zur Handlung inspiriert haben, zu inspirieren.

Denn sprechen letzten Endes die Handlungen für sich? Einerseits ja, in dem Sinne, dass sie die Verwirklichung eines konkreten Angriffs auf eine Struktur oder eine bestimmte Person ist. Die Zerstörung eines Funkmastes ist die Zerstörung eines Funkmastes, egal, wie man das gerne interpretieren würde. Andererseits nein, denn sie können nicht in sich selbst alle Beweggründe, Spannungen, Empfindsamkeiten ausdrücken, die den Urheber dazu motiviert haben diesen umzusetzen. Damit sind Handlungen das, was sie sind, ein materieller zerstörerischer Fakt, der die Vorstellungskraft anregen oder öffnen kann (oder auch nicht), nicht mehr, nicht weniger. Gleichzeitig sind es auch all diese Handlungen, die das Panorama ausmachen, in dem wir handeln, und von dem wir Teil sind. Sie erhalten ihren Sinn also auch in einem Kontext, und nicht nur durch die eventuelle ausdrückliche Äußerung der Urheber. Da sie das Leben anderer Menschen durcheinanderbringen, auf den Kopf stellen, infragestellen, können sie niemals das exklusive Eigentum ihrer Urheber sein, so wie auch die Urheber niemals die einzigen sein werden, die ihnen einen Sinn geben (egal ob es darum geht sie gutzuheißen oder sie zu verurteilen). Angesichts dessen ändert der Umstand sich zu einer Handlung zu bekennen oder auch nicht, nicht radikal etwas an der Ausgangssituation. „Die Anderen“ sind nicht einfach passive Zuschauer, die die Handlungen ebenso wie die Erläuterungen, die die Urheber ihnen manchmal gerne geben wollen, regungslos empfangen: sie sind direkt beteiligt, denn ihr Leben wurde (auf mehr oder weniger kurzlebige Art und Weise) von der Handlung durch den Ekel oder den Enthusiamus, den diese bei ihnen hervorruft, etc., etc. verändert.

Kann also eine Bekennung zum Verständnis einer Handlung beitragen? Natürlich, ebenso wie sie sie umgekehrt ihren Lesern unverständlich machen kann, indem sie sie beispielsweise so sehr aufbläht oder mit so vielen Wort umgibt, dass letztere die Handlung letzten Endes beinahe in ihrem Referat ertränken und damit den einfachen Vorschlag begraben, den diese immer enthält: lasst uns kaputt machen, was uns kaputt macht. Und kann außerdem der Umstand sich zu bekennen wirklich davor bewahren mit wenig empfehlenswerten Menschen in einen Topf geworfen zu werden? Da der Wald weitläufig ist und die Handlungen deutlich weiter und über unsere Worte hinaus widerhallen (die „Auswirkungen“ der Propaganda, ob sie nun von anarchistischen Zeitungen oder von anarchistischen Bekennerschreiben ausgeht, werden immer begrenzt bleiben), würde man eher dazu neigen, dies zu relativieren, und auf jeden Fall die Bekennung nicht als eine Art Zauberlösung zu betrachten, als ein Wundermittel, das alle Probleme lösen soll, die die Handlungen und ihr mögliches Verständnis hervorrufen.

Links, rechts, links, rechts: jenseits davon!

«Dass die Linken seit Wochen Hand in Hand mit Faschos/Verschwörungstheoretikern auf die Straße gehen, sollte uns eine Warnung vor der Gefahr der Idee eines gemeinsamen Kampfes sein, die dazu führt, dass es uns egal ist, mit wem wir kämpfen, solange man die gleiche Praxis und das gleiche Ziel hat. Man vergisst, dass die Menschen, deren Handlungen man bejubelt, oder mit denen man demonstriert, Positionen haben, die hinsichtlich quasi allem mit den unseren in Widerspruch stehen, und dass wir in anderen Kontexten ihr Angriffsziel sein werden.»

Einige solidarische Widerborste, ihn ihrem Bekennerschreiben eines Orange-Fahrzeugs in Grenoble, September 2021

Seit mehreren Monaten scheint ein Großteil des Widerstands gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung von Personen aus dem rechten Spektrum auszugehen. In anderen Ländern ebenfalls, wie in Italien, in den Niederlanden oder in Deutschland sind Faschos in großer Zahl auf die Straße gegangen und haben ihre Anwesenheit bei Mobilisierungen des sehr heterogenen Restes klar deutlich gemacht. Mehrere Male wurden Anarchisten sogar von faschistischen Gruppen angegriffen, und glücklicherweise hat das auch umgekehrt stattgefunden. Trotzdem bedeutet sich auf einem selben Konfliktfeld wiederzufinden nicht notwendigerweise sich das ekelhafte Vokabular von Opportunisten, die auf der Suche nach einer „Querfront“ sind oder „objektive Allianzen“ als politische Strategie theoretisieren, angeeignet zu haben. Wenn man auch immer noch die Möglichkeit hat die Tür zuzuknallen und ein Kampffeld aufzugeben, das uns keine subversive oder Handlungsmöglichkeit, die die Freiheit in sich trägt, mehr zu bieten scheint, wird jedoch kein Konflikt jemals vollständig den antiautoritären Kriterien entsprechen. In einem Konfliktfeld, das nicht „rein“ ist (aber welches Konfliktfeld ist das schon?), zu handeln bedeutet natürlich nicht den Autoritarismus zu unterstützen, der dort vorhanden sein kann, und die Frage wird immer viel eher jene bleiben, wie wir handeln, und mit welcher Perspektive.

Auf der anderen Seite des Rheins gibt es große Teile der linksradikalen und libertären Bewegung, die jenen, die die anonymen Angriffe auf die Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen verteidigen, vorwerfen, eine Querfront mit den Nazis zu bilden, oder zumindest ihr Spiel mitzuspielen (weil die militanten Nazis im Allgemeinen nicht so versessen auf Bekennerschreiben sind und ebenfalls den Angriff auf Infrastruktur theoretisieren, um so den Tag X herbeizuführen, den Tag des gesellschaftlichen Zusammenbruchs und den Beginn des „Rassenkriegs“). Da außerdem ein Großteil des Terrains rund um den Widerstand gegen 5G von offen verschwörungstheoretischen und der extremen Rechten wohlwollend gegenüberstehenden Komitees („Querdenker“) besetzt zu sein scheint, werden Angriffe auf die Infrastruktur nicht mehr als Sabotagen gegen die Technowelt wahrgenommen, sondern als Beweise für die Virulenz der Nazis. Vom hohen Ross der antifaschistischen Kollektive und Kreise der Bewegung aus werden also Handlungen, zu denen sich niemand bekannt hat, diskreditiert, sobald das para-polizeiliche Prinzip, dass „eine Handlung gegen eine Infrastruktur, zu der sich niemand bekannt hat, einer Nazi-Aktion entspricht“, erst einmal etabliert wurde. Was noch für viele von ihnen dadurch verstärkt wird, dass sie im Allgemeinen als gute Jünger:innen des kollektiven und zivilisatorischen Fortschritts die subversive Tragweite von Angriffen auf dieses „Gemeingut“, das in ihren Augen die Elektrizität und die virtuelle Konnektivität sind, nicht zu erkennen vermögen.

Angesichts der aktuellen technologischen Restrukturierungen der Herrschaft, und egal von welcher Seite aus man diese betrachtet, bleibt ein kleiner Satz von Orwell – beileibe kein Feind jeglicher Herrschaft – beunruhigend aktuell: „Die wahre Spaltung besteht nicht zwischen Konservativen und Revolutionären, sondern zwischen Autoritären und Libertären.“ Jenseits des Rheins klagen diese Stimmen der deutschen radikalen und/oder libertären Linken also nicht nur die Anarchisten an mithilfe von Angriffen auf die Infrastruktur (die zum Hauptziel haben Chaos zu stiften und die technologischen Ketten anzugreifen, Praktiken, die in eine aufständische Projektualität eingebettet sein können oder auch nicht) einen „Bürgerkrieg“ auslösen zu wollen, sondern sie bestehen dann auch erhobenen Zeigefingers darauf, dass solche Angriffe deshalb zumindest von politischen Beteuerungen des guten Willens („soziale Gerechtigkeit“ und „progressive Emanzipation“ statt der Entfesselung der Freiheit, „gegen die Herrschenden“, aber immer indem man sich verständnisvoll gegenüber der Unterwerfung und Zustimmung der Beherrschten zeigt) begleitet sein müssten. Tatsächlich verlangen sie lediglich die Fortsetzung der guten alten opportunistischen Tradition, die sicherlich motiviert ist sich der Waffe der Sabotage zu bedienen, aber nur zu der Bedingung, dass sie als Medium und Sprachrohr für die politischen Pläne dient.

Und wenn nun die Anarchisten hier und anderswo letzten Endes mehr oder weniger dasselbe tun würden? Wenn sie Erklärungen für jeden Akt der Infrastruktursabotage verlangen würden, wenn sie sich faktisch von jeder Handlung, zu der sich nicht als „anarchistisch“ bekannt wurde, distanzieren würden, wenn sie überall nur noch die Hand der Nazis, der Verschwörungstheoretiker – und warum nicht, ein Klassiker des letzten Jahrhunderts: der ausländischen Geheimdienste – hinter den Sabotagen, deren Urheber sich dazu entscheiden im Schatten zu bleiben, sehen würden? Sie würden also darin enden, jede Projektion und jeden Willen, die eine unkontrollierte Vervielfachung der Sabotagen an Telekommunikations-, Energie- und Logistikinfrastruktur erhoffen und daran arbeiten, über Bord zu werfen, um nur noch ihre einer ideologischen Kontrolle unterworfene Vervielfachung zu akzeptieren und wertzuschätzen. Würde das bedeuten die Freiheit zu verteidigen oder eher sich vor ihr zu fürchten?

Der Umstand, dass Faschos/Verschwörungstheoretiker oder sogar Mönche einige Funkmasten angegriffen haben, nimmt kein einziges Gramm Richtigkeit daran einfach all diese Strukturen anzugreifen, zu Sabotagen gegen diese ermutigen zu wollen, die unkontrollierbare Vervielfachung letzterer zu erhoffen und daran zu arbeiten. Jedoch könnte uns das dazu zwingen noch mehr darüber nachzudenken, warum diese Handlungen vorgeschlagen werden könnten, warum wir wirklich ihre Verbreitung wollen, d. h. darüber nachzudenken um unsere Perspektiven zu verfeinern. Wenn die Terrains zu verlassen, wo andere auch aktiv sind, keine Option ist, wenn systematisch jede Handlung zu labeln nicht die Frage nach dem „selben Terrain“ löst, dann bedeutet das, dass man noch weiter suchen muss: in der Perspektive, die wir unserem Handeln geben, in den Ideen, die wir verbreiten, in den Methodologien, die wir vorschlagen, in den Projekten, die wir entwickeln.

Welche Freiheit?

Die Freiheit zu entfesseln bedeutet das Unvorhersehbare zu akzeptieren, das die Unordnung in sich trägt. Es bedeutet zu akzeptieren, dass die Freiheit nicht immer sanft ist, sondern dass sie auch ein blutiges Gesicht annehmen kann, wir wollen sie trotzdem. Wir wollen keine Freiheit, die von Risiken befreit wurde, noch wollen wir von der Freiheit verlangen, dass sie ihre Bescheinigungen, die ihr ein gutes Leben und Gebräuche attestieren, mitbringt, ehe wir sie bei uns einlassen. Das wäre keine Freiheit, das wäre Domestizierung, die sich mit libertärer Kleidung getarnt hat, der beste Boden, auf dem der Keim der Autorität wieder beginnen würde zu wachsen.“

La Forêt de l’agir, April 2021

Welche Perspektiven kann man also erkunden? Man könnte mit jenen beginnen, die man verstehen kann, uns aber am wenigsten inspirieren. Zum Beispiel diejenige, die häufig zwischen den Zeilen hindurchschlüpft, es aber schwer hat explizit ausgesprochen zu werden: es handelt sich um jene Perspektive, die die Existenz und die qualitative wie quantitative Verstärkung der anarchistischen Bewegung zum Hauptziel hat. Eine stärkere, größere, besser organisierte Bewegung, die in der Lage wäre sich den obskuren Kräften des Faschismus, der verschwörungstheoretischen Manipulation von sehr realer Wut, den linken Ideologien, deren Rolle wohl zu sein scheint den Kapitalismus und die Herrschaft in eine nachhaltigere, technologischere, fairere Zukunft zu begleiten, entgegenzustellen. Eine Bewegung, die es wagt sich selbst als Referenzpunkt zu betrachten, und die eine ausreichende Fähigkeit der Verbreitung, des Angriffs und der Relevanz entwickelt um eine wahre Kraft zu sein, die in der Lage ist in der öffentlichen Debatte Gewicht zu haben, den Unterschied in dazwischenliegenden Kämpfen zu machen, Nazis von Demonstrationen zu verjagen.

Bei einer solchen Perspektive gibt es ein starkes Risiko, dass die quantitative Verstärkung der anarchistischen Bewegung, die an sich bereits schwer vorstellbar ist (denkt man alles in allem wirklich, dass anarchistische Ideen heutzutage von Massen von Personen geteilt werden könnten?), sich letztlich mit der Repräsentation einer solchen Verstärkung zufrieden geben wird. Der Spiegeleffekt verführt leicht zum Exhibitionismus und entleert damit rasch den Kampf, um ihn mit einem Bild zu ersetzen, das man für real hält. Letztlich endet eine solche Perspektive normalerweise damit die anarchistische Identität zu verstärken, um dann mit leidenschaftlicher Feindschaft… die anderen Waldbewohner anzugreifen. Um dies zu tun hat diese Identität also Tendenz sich überdimensioniert aufzublähen, der Form den Vorrang vor der Qualität der Substanz zu geben, und endet damit, sich mittels Vergleichen im Spiegel der Repräsentation mit allen anderen Identitäten zu messen.

Andere Wege bleiben jedoch möglich, die sicherlich etwas düsterer und gefährlicher sind. Wege, die nicht für jene gemacht sind, die sich vor Schlamm fürchten oder die es nicht ertragen können im Schatten zu arbeiten. Wege, an deren Ende keine Garantie existiert, keine Anerkennung, die uns erwartet, die nicht die bloße Existenz von Anarchisten und ihr Überleben als das Alpha und Omega der Subversion oder der Anarchie betrachten. Es handelt sich um den Weg, der sich mal steil aufwärts, mal steil abwärts durch die Landschaft schlängelt, um den Zug des Fortschritts und der aktuellen Gesellschaft zum Entgleisen zu bringen. Ohne dabei die Verbreitung unserer Ideen (mittels verschiedener Mittel) aufzugeben, ohne die Nützlichkeit und die Notwendigkeit der anarchistischen Kritik zu unterschätzen, zielt der Weg, von dem wir hier sprechen, insbesondere darauf ab, zur Erschütterung der Situation, zur aufständischen Explosion, zum Zusammenbruch dessen, was die produktiven und sozialen Strukturen aufrechterhält, beizutragen. Dieses Projekt, diese Projektualität zielt weder auf das numerische Wachstum der anarchistischen Bewegung, noch auf die Vergrößerung ihres Rufs, sondern darauf, die sozialen Konflikte auf eine umfangreichere Umwälzung auszuweiten; weil auf eine unkontrollierte Vervielfachung der Handlungen und auf den unerwarteten Abbruch der Verbindung hinzuarbeiten das Aufkommen von Freiheit erlauben könnte, ja besser noch, sie ist eines der Gesichter, die die Freiheit, die heute losstürzt, annimmt.

Der Umstand, dass einige, deren Beweggründe wir sicher nicht teilen, sich ebenfalls daran beteiligen, dass andere, von denen wir überhaupt nichts wissen, sich auch darauf verlegen, verursacht in uns keine lähmende Angst, und treibt uns auch nicht dazu an einem exhibitionistischen Sichüberbieten teilzunehmen (eine Falle so alt wie die Welt, von allen gestrigen und heutigen Nachrichtendiensten bekannt und gestellt), sondern treibt uns vielmehr dazu, unsere Vorschläge, unsere Projektualität, unsere Ethik weiter zu verfeinern. Und vor allem mit unseren Mitteln und bescheidenen Fähigkeiten die dringende Zerstörung der aktuellen Gesellschaft voranzutreiben.

(Avis de Tempêtes #46, 15. Oktober 2021. Übersetz aus dem Französischen von Zündlappen, 22. Februar 2022)

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Von einer Schwachstelle zur nächsten

Posted on 2022/02/16 by avisbabel

Auf einer mikroskopischen Ebene kann die Zerstorung von Autonomie (die Reduzierung von Raumen um sein Leben selbst zu bestimmen) durch die Einführung von immer mehr technologischen Prothesen nur einer beiBenden Verzweiflung Platz machen. Eine Empfindung welche mit dem Grad an Geringschatzung und Abnutzung, dem man unterwor­fen ist, entspricht. Das Rad des Fortschritts dreht sich immer schneller. Früher konnten breite Umwalzungen in der Gesellschaft mehrere Gene­rationen umfassen. Heutzutage scheint es manchmal, dass man mit dem Abstand von einer Generation nicht mehr in der selben Welt geboren wird. Die Geschwindigkeitsexplosion bedarf einer auBergewohnlichen Fahigkeit der Menschen sich anzupassen. Man konnte sagen, dass jede Zivilisation auf diese Art funktioniert. Somit erfordert die Frage mehr Tiefe: Von welchem Punkt an führt die Anpassung an einen Lebensraum zu einem Autonomieverlust, zu einer Unterdrü­ckung von Freiheit? Wenn nicht jede Anpassung an sich gegensatzlich zu Freiheit ist? Aber das sind Fragen welche die bescheidene Reflexion dieses Artikels überschreiten.

Weiter lesen: Von einer Schwachstelle zur nächsten (PDF)

(Avis de Tempêtes, n°39, März 2021. Übersetzt von autonomes Blättchen (#47, Dez 21-Feb 22)]

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Gefängnisstadt…

Posted on 2021/10/07 - 2021/11/05 by avisbabel

Es handelt sich nur um eine kleine nichtige Sache, ein einfaches kleines elektronisches Kästchen. Es ist ein Infrarotoder Ultraschalldetektor, der mithilfe von RFID oder GSM verbunden wird, wie er sich an allen Straßenecken (oder Geländen wie im Hochtal von Aude oder auf dem Berg Sainte Victoire) bereits seit einigen Jahren vervielfacht. Es ist gleichzeitig ein Messinstrument, das dazu dienen soll, die Luftverschmutzung zu messen, den
Verkehr, den Lärm, das Gewicht des Mülls, das Wetter oder auch die Anwesenheit von Passanten, und ein Apparat, der gemäß der Algorithmen der
Herrschaft programmiert ist, um mit letzteren interagieren zu können. Es kann gleichzeitig ein Bewegungsdetektor und ein Regulator der Lichtintensität sein. Es kann eine ausgefallene Wanze sein, die die Züge banaler Laternen annimmt.

Weiter lesen : Gefängnisstadt… (PDF)

[Avis de Tempêtes #6 – 15. Juni 2018. Übersetzt von Zündlumpen (#85, September 2021)]

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Auf dass der Wind sich dreht

Posted on 2021/10/07 - 2021/11/05 by avisbabel

Eine Gewitternacht. Die elektrischen Entladungen erleuchten den Himmel, während der Donner das Ende der Welt anzukünden scheint. Auch wenn letzteres an diesem 1. Juni 2018 in Marsanne (Drôme [Frankreich, Anm. d. Übs.]) nicht eintrat, ist dennoch etwas in jener Nacht geschehen, oder besser zwei Dinge, die letzlich ein unerwartetes Schicksal erlitten: zwei Windkrafträder werden angegriffen. Eines brennt vollständig ab, das zweite wird beschädigt. Die missgelaunten Staatsbüttel und die RESGruppe [ErneuerbareEnergienUnternehmen, Anm. d.Übs.] konnten nur noch die Einbruchsspuren an den beiden Eingangstüren der gigantischen Kolonnen feststellen, auf denen die Turbine und die Flügel dieser Industriemonster der erneuerbaren Energie sitzen.

Weiter lesen: Auf dass der Wind sich dreht (PDF)

(Avis de Tempêtes, n°6, Juni 2018. Übersetzt von Zündlumpen (#85, September 2021)]

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Dreizehn Minuten

Posted on 2021/10/07 - 2022/02/16 by avisbabel

Am 30. Januar 1933 kommt Adolf Hitler in Deutschland an die Macht. Er macht dies nicht mittels eines brutalen Staatsstreiches, bei dem er seine bewaffneten Milizen den vermeintlichen Rechtsstaat wegfegen lässt: Er wird direkt vom Präsident Hindenburg zum Kanzler ernannt. Drei Monate zuvor war der Führer des Nationalsozialismus abgeschrieben worden, nachdem seine Partei bei den Wahlen am 6.November zwei Millionen Stimmen verloren, während die Kommunistische Partei (KPD) 700.000 gewonnen hatte.

Am auf das Wahlergebnis folgenden Morgen annoncierte die Rote Fahne [das zentrale Organ der KPD] euphorisch, dass „ überall Mitglieder der Sturmabteilung (SA) aus den Reihen des Hitlerismus desertieren und sich der kommunistischen Fahne anschließen.“ Die selbe Fahne, die noch am 25 Januar 1933 während der großen Antifaschistischen Demonstration in Berlin stolz im Wind wehte, bei der 125.000 Arbeiter aufmarschierten- „eine wundervolle Jugend“,“eine Beteiligung, ein Enthusiasmus, eine Entschlossenheit, die wir noch nie gesehen hatten.““Versuchen wir die Anzahl an Kämpfern zu bewerten, die der Kolonne nützlich sein können. Fünfundneunzig Prozent, in Anbetracht ihres Alters, ihres Verhaltens beeindrucken uns als Aktivisten, die bereit sind für den bewaffneten Kampf“ wird ein Zeuge sagen, der fünf Tage später sehen wird, „wie sich die großartige Kommunistische Partei Deutschlands wie ein Stück Zucker im Wasser auflösen wird. Die erste Partei Berlins, die stärkste Sektion der kommunistischen Internationalen.“

Hitler war an der Macht und das Rote der Fahne der Arbeiter nahm die Farbe der Schmach, der Schande, der Demütigung an. Es gab keine Massenproteste, es gab keine Generalstreiks, es gab keine Zusammenstöße auf der Straße. Es gab keinen Bürgerkrieg, es gab keine Revolution. Es ist nichts Nennenswertes passiert, außer einer Reihe von Subversiven, die unter den Schlägen der braunen Pest gefallen sind. Entmutigung, Verzweiflung, Enttäuschung, Machtlosigkeit, Kappitulation, Niederlage, das ist es ,was in diesem Februar 1933 die revolutionäre Beweging durchdrang, die vom stupidesten Gehorsam und dem blinden Vertrauen in die Partei dominiert wurde. Wohin waren die abertausenden „Kameraden“ verschwunden, die Teil der verschiedenen Selbstverteidigungsmilizen waren, die allen Parteien, die sozialdemokratische mit eingeschlossen, zur Verfügung standen. Wo waren diese fünfundneunzig Prozent Aktivisten, die für den bewaffneten Kampf bereit waren?

Verschwunden, aufgelöst während einer kalten Nacht Ende Januars. An diesen furchtbaren Tagen ist es nicht das Kommunistische Manifest, ist es nicht das anarchistische Ideal, ist es nicht die Metaphysische Wahrheit die von einem dreiundzwanzigjährigen, holländischen, halbblinden Räteanhänger, Marinus Van der Lubbe, allein gegen alle verteidigt werden, sondern menschliche Gefühle wie die Würde und der Stolz. In der Nacht vom 27. zum 28. Februar schleuste er sich in den Reichstag ein und steckte ihn in einem letzten Versuch, das deutsche Proletariat zur Revolte aufzurufen, an. Ein großzügiger und vergeblicher Versuch, der nicht nur durch die Folter und Enthauptung durch seine Feinde bestraft wurde, sondern auch mit dem Unverständnis, der Verleumdung und dem Vegessen seiner eigenen Freunde belohnt wurde.

Nein! Im Land des Spartakusaufstandes von 1919, im Land, das die Wiege der Arbeiterbewegung war, protestieren und warten die Massen im Angesicht des Nazi-Schreckens, sie wählen und warten, sie demonstrieren und warten, sie schimpfen und warten, sie ertragen und warten, warten, warten… warten darauf die Meinung ihrer Anführer zu hören, dieser Funktionäre der dialektischen Wissenschaft, die am Abend des 30.Januar – als der österreichische Schmierfink gerade frisch ernannt worden war – davon überzeugt waren, dass dieser Hitler sich bald aufbrauchen würde, dass Hitler mit dem Krieg den Weg zur Revolution öffnen würde, dass Hitler es niemals wagen würde, sie zu Gesetzlosen zu erklären, dass Hitler niemals von den internatioalen Regierungen anerkannt werden würde, dass Hitler ein dunkler, brutaler Übergang sei, den die Massen durchlaufen müssten, bevor sie dann zur so sehr angestrebten roten Regierung gelangen würden.
Die Massen warteten und hofften während die Parteichefs hinhielten und verrieten. Aber nicht das Individuum. Letzteres hat nichts zu erwarten oder zu erhoffen, es hat nur sein Gewissen, vor dem es sich zu verantworten hat und seinen Willen, den es in die Tat umzusetzen gilt. Und manchmal reicht dies, um Geschichte zu machen. Oder sie um nur dreizehn Minuten, um nur 780 Sekunden zu verfehlen.

Der Handwerker

Er hieß Georg Elser und wurde am 4. Januar 1903 in Hermaringen, einer kleinen Ortschaft im Südwesten Deutschlands geboren, bevor seine Familie dann nach Königsbronn (ebenfalls in Baden-Würtemberg) zog. Als Ältestes von vier Kindern arbeitete er schon sehr jung auf dem Bauernhof der Familie. Mit sechzehn begann er eine Ausbildug in einer Schreinerei, eine Arbeit, die er liebte und in der er ein wahrhafter Meister wurde. Dabei begriff er den qualitativen Unterschied zwischen der Arbeit eines Arbeiters, die mechanisch und sich wiederholend war und bei dem sich der Arbeiter am Fließband auslaugte und dem Beruf des Schreiners, der Gegenstände mit seinen eigenen Händen erschafft. Er arbeitete nicht nur für Geld, sondern auch um wahrhaften Kunstwerken Form zu geben. Im Lauf der Jahre voller Armut und Arbeitslosigkeit war Elser gezwungen, in der Gegend umherzuwandern und oftmals die Arbeit zu wechseln. Die Wirtschaftskrise verschonte niemanden, nicht einmal die Möbelfabrikanten, es wurde immer schwieriger. Er arbeitete auch in irgendeinder Uhrenfabrik, wobei er sich für die Mechanik der Uhren begeisterte. Schließlich kehrte er auf das dringliche Bitten seiner Familie nach Hause zurück, die kurz davor stand ihren Bauernhof zu verlieren.

Als Hitler Anfang 1933 die Macht ergriff befand Elser sich eben in Königsbronn, wo er sein Leben in mitten von tausenden von Schwierigkeiten fortsetzte. Die Arbeit wurde immer automatisierter, die menschliche Fertigkeit war nicht mehr wichtig, die Löhne brachen zusammen. Im Laufe der Jahre näherte sich Elser linken Gruppen, in denen er nie aktiv gewesen zu sein scheint. Er war kein Aktivist, er öffnete keine Bücher, er las sehr wenig die Zeitungen, er interessierte sich nicht für Politik. Es gefiel ihm ganz einfach unter Leuten wie er selbst zu sein, unter Proletariern. Er hat natürlich schon seine Mitgliedskarte der Kommunistischen Partei genommen und sich zur selben Zeit sogar dem Rotfrontkämpferbund angeschlossen, aber nur weil dies ihm ermöglichte, in der Blaskapelle dieser Organisation zu spielen. Leidenschaftlich für Musik, konnte er mehrere Instrumente spielen, unter diesen die Zither.

Georg Elser war sehr geschickt mit seinen Händen, aber besaß eine geringe „politische“ Kultur und Vorbildung. Dies war ein wahrhaftes Glück, denn sein Kopf wurde so von den marxistischen Tiraden über den historischen Materialismus und die Dialektik verschont. Man musste nicht diplomiert sein, um zu merken, was die Nazis am Treiben waren, die alltägliche Vergewaltigung jeglicher Freiheit, der auferzwungene Terror mit dem Verbannen der Parteien und Gewerkschaften, die Verschärfung der Lebensbedingungen und – ab 1938 – dem Schreckgespenst des Krieges, das immer konkreter wurde. Nicht nötig, einen durchdringenden Blick zu haben, um die Privilegien zu sehen, in denen sich die Nazifunktionäre suhlen. Und daraus alle Konsequenzen zu ziehen.

Seine Freunde erinnerten sich viel später daran, dass sich Elser nie Hitlers Reden im Radio anhörte, dass er sich weigerte den Hitlergruß zu machen und dass er einmal während einer Demonstration für Hitler sich umdrehte und sie auspfiff. Aber Georg Elser war nicht wie seine Freunde, er war nicht wie die Millionen Deutschen, die sich damit zu frieden gaben über das Naziregime zu meckern. Als einfacher und praktischer Mensch, traf er Anfang 1938 seine Entscheidung. Wie er später erklärte, kam er zum Schluss, „dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten.“ Das Individuum, Begehren und Willen, hatte seine Entscheidung getroffen: Hitler musste sterben. Der große Diktator und sein ganzer Kreis wurden damit zum Tode verurteilt; nicht durch ein Gericht des Staates, nicht durch das Urteil der Geschichte und noch weniger durch das göttliche, sondern durch einen kleinen Handwerker aus dem Schwabenland. Ein Weckruf an die Massen und ihre Organisationen.

Einsam und alleinstehend vertraute Elser niemandem seine Projekte an und suchte laut den Historikern keine Hilfe von außerhalb. Es scheint dennoch, dass ihm bei seiner Unternehmung von ein paar Individuen geholfen wurde: der Anarchist und deutsch-englische Ex-Spartakist John Olday und revolutionäre Sozialistin jüdischer Herkunft Hilda Monte, beide in Verbindung mit der Schwarzrotgruppe. Aus was diese Hilfe bestand weiß niemand wirklich. Jedenfalls musste Elser ein praktisches Problem lösen. Es musste ihm gelingen, sich dem Führer nah genug zu nähern, um ihn zu töten. Es hatten schon andere diese Idee liebgewonnen, aber alle sind auf die selbe Schwierigkeit gestoßen. Im Bewusstsein, dass er mehr gefürchtet als geliebt wurde, war Hitler von Attentaten besessen und hatte die Gewohnheit seine Programmpläne unvorhersehbar zu ändern.

Wenn seine Anwesenheit bei irgendeiner öffentlichen Versammlung angekündigt wurde, wussten nicht einmal seine nahestehendsten Kolaborateure ob er zu dem vorgesehenen Termin kommen würde. Auf diese Weise konnte kein eventuelles Durchsickern seinen Feinden helfen, die nie im Voraus wissen konnten, wo er hingehen würde.

Diese unentwegte Vorsicht hatte jedoch einen Fehler. Es gab tatsächlich einen einzigen öffentlichen, jährlichen Termin, den er um Nichts in der Welt aufgegeben, vor dem er sich nicht gedrückt hätte. Eine besondere Gedenkfeier, ein Jahrestag an den es sich zu erinnern galt, eine Rede voller Emotionen, die Feier seines ersten, fehlgeschlagenen Versuches die Macht zu ergreifen – der Putsch in München vom 8. November 1923. An jenem Tag hatte der vierunddreißigjährige Hitler an der Spitze seiner Waffenbrüder ein beeindruckendes Eintreten in den Bürgerbräukeller hingelegt, wo eine Versammlung stattfand, an der die bayerischen Autoritäten teilnahmen, wobei er einen Schuss in die Luft abgab. Er hatte ihnen angekündigt, dass ein Staatsstreich im Gange war, wobei er sie dazu einlud, sich den Nazis anzuschließen. Der Putschversuch, der allzu improvisiert war, endete am nächsten Morgen während einer Schießerei zwischen den Demonstranten, die auf dem Weg zum Kriegsministerium waren und den Ordungskräften, an deren Ende vierzehn Nazis getötet worden waren.

Ab 1933 fand sich Adolf Hitler jeden 8. November mit seinem gesamten inneren Kreis ein um an der Gedenkfeier des Putschs teilzunehmen. Umgeben von tausend frühen Nazikämpfern, mit denen er Witze und Anekdoten austauschte, versuchte der Führer dieses Jahr 1938 in seinem üblichen Redefluß die kriegerische Wut seiner Anhänger anzuheizen. Im November 1938 – 10 Monate vor dem Überfall auf Polen durch die deutschen Truppen – nahm Elser den Zug nach München und beteiligte sich unauffällig an den Festlichkeiten der Nazis. Als Hitler an jenem Abend auf die Bühne stieg, konnte er nicht wissen, dass sich vor den Türen der Brauerei sein Todfeind einfand, der bis dorthin gekommen war um sich ein Bild zu machen. Die Brauerei, die ihren Namen von Bürgerbräukeller zu Löwenbräu geändert hatte, enthielt einen enormen unterirdischen Saal, der mehr als 3000 Personen fassen konnte. Elser mischte sich unter die Menge derer, die eine Erlaubnis hatten am Ende des Abends, nach der Rede und der Abfahrt Hitlers, einzutreten, und merkte sich die Einteilung des Ortes, indem er die Sicherheitsmaßnahmen studierte, die für das Ereignis getroffen wurden. Er konstatierte unglaubliche Mängel. Ihr Verantwortlicher war Christian Weben, ein ehemaliger Türsteher vor Nachtlokalen, dem es, als glühender Nazi, nicht in den Sinn gekommen war, dass jemand Hitler bis auf den Tod hassen konnte. Die Aufmerksamkeit Elsers konzentrierte sich vorallem auf den einzigen Ort wo sich Hitler seit zu langer Zeit in Sicherheit wähnte: die Bühne. Er bemerkte eine Säule aus Stein genau dahinter, die einen großen Balkon stütze, der der Mauer entlang verlief. Unschwer zu verstehen, dass eine, im Innern der Säule platzierte, mächtige Bombe, den gesamten Balkon zusammenbrechen lassen würde, und Hitler und seine Nahestehenden unter dem Schutt begraben würde. Eine unmögliche Unternehmung für viele, aber für einen erfahrenen Handwerker nicht.

Es ist der Tag nach dem 9. und 10. November 1938, an dem sich die Nazis durch das ganze Land, aber auch teils durch Österreich und Tschechoslowakei austobten, in dem, was Kristallnacht heißen sollte. Das anti-jüdische Pogrom verstärkte Elsers Entschlossenheit noch. Er hatte ein Jahr um sein Projekt zu Ende zu bringen, und dem er sich mit Zähigkeit und Akribie widmete. Er musste sich Sprengstoff besorgen, eine Bombe mit Zeitverzögerung konstruieren, dann das Gerät im Inneren der Säule verstecken. Um das zu tun, versuchte er temporäre Arbeit in einer Waffenfabrik zu finden, dann in einer Mine und dort hatte er Erfolg. Dort, nutzte er jede Gelegenheit um sich starken Sprengstoff und Dynamit anzueignen, und auch Detonatoren habhaft zu werden. Abends, eingeschlossen in seiner Wohnung, erarbeitete er Pläne um eine raffinierte zeitverzögerte Bombe zu konstruieren.

Im April kehrte er nach München zurück um unter ruhigeren Umständen eine neue, detailliertere Zeichnung anzufertigen. Er bemerkte, dass sich auf der Etage über dem Saal Lagerräume befanden, wo er sich verstecken und aus der Nähe die Säule begutachten konnte. Sie war bedeckt mit Holz! Perfekt. Er erkundete dann die schweizerische Grenze, um einen Fluchtweg zu finden, und fand schließlich einen Abschnitt ohne Patrouillen. Sicherlich, Georg Elser wollte Hitler töten, aber er hatte auch die Absicht die an sich gerissene Freiheit zu leben und zu geniessen. Es gab keinen Opfergeist in ihm.

Am 5. August 1939 nahm Georg Elser den Zug und ließ sich ein letztes Mal in München nieder um den letzten Teil seines Projekts zu realisieren, den schwierigsten und auch den riskantesten: einen Hohlraum in den Pfeiler hinter dem Rednerpult zu graben, der groß genug ist, und dort eine tödliche Vorrichtung zu verstecken, ohne entdeckt zu werden. Er wurde zu einem Stammkunden des Löwenbräu, der bei den Nazis beliebtesten Brauerei in München. Er verbrachte dort den ganzen Tag, so dass die Kellner und Kellnerinnen aufhörten ihrem gemächlichen, teuren Kunden allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Jeden Abend, blieb Elser bis zur Schließung, um dann heimlich auf die obere Etage zu schleichen, wo er sich in einem Lagerraum versteckte. Während die Räumlichkeiten leer waren, kam er heraus um am Pfeiler zu arbeiten. Beim Licht einer Taschenlampe demontierte er mit Vorsicht die Holzpanele der Säule, stellte sie zur Seite damit sie einfach wieder anzubringen waren, und begann geduldig den Stein auszuhöhlen. Inmitten der Stille, hallte der Lärm des Bildhauerbeitels, der den Stein schlug, derartig in diesem Kuppeldach, dass er gezwungen war, mit einer anstrengenden Langsamkeit zu arbeiten. Die einzelnen Schläge folgten den Intervallen mehrerer Minuten, die er versuchte mit dem Lärmen der Straße, wie dem Vorbeifahren eines Autos, in Einklang zu bringen. Jede Spur von Pulver oder Stein musste anschließend verschwinden, und das Holzpanel musste vor dem Morgengrauen perfekt an Ort und Stelle angebracht werden.

Abend für Abend widmete er sich seinem Meisterwerk.
Er verbrachte 35 schlaflose Nächte, gebeugt von der anstrengenden Arbeit. Eines Morgens, wurde er von einem Kellner überrascht, der vor Arbeitsbeginn ankam und sofort den Wirt der Brauerei rief. Elser, der gerade dabei gewesen war zu gehen, nachdem er alles aufgeräumt hatte, entschuldigte sich, indem er sagte ein Stammkunde zu sein und dass er die Örtlichkei offen vorgefunden habe. Er bestellte einen Kaffee, trank ihn schweigend und mit kleinen Schlücken, bis er ging. Er war nicht verbrannt.
Um seine Bombe zu preparieren, stellte er einen Zeitzünder her, indem er eine Uhr modifizierte. Der Zeitzünder konnte im Rahmen von 144 Stunden laufen, bevor er auf einen kleinen Hebel drückte, der die Vorrichtung aktivierte. Aus Skrupel fügte er zur Sicherheit einen zweiten Zeitzünder hinzu. Die Bombe war in einem eleganten Holzgehäuse untergebracht, das mit Präzision in das gegrabene Loch im Innern der Säule eingefügte war. Damit man das Tick-Tack der Uhr nicht hörte, nahm er Kork und bereitete ein Blech vor um das Innere des Holzpanels auszukleiden. Er wollte nicht, dass ein Mitglied des Personal versehentlich einen Nagel in sein Kunstwerk trieb!

Im vorangegangenen Jahr, notierte sich Elser, dass die Rede Hitler um 20.30Uhr begann, man versicherte ihm das sei eine Gewohnheit. Der Führer sprach für eineinhalb Stunden, blieb dann im Lokal um sich unter seine alten Kameraden zu mischen. Elser stellte seine Uhr, damit sie in der Hälfte der Rede auslöste, das heißt um 21.20Uhr. Der erste Versuch die Bombe zu platzieren scheiterte, und zwang ihn die Abmessungen seines Gehäuses zu reduzieren. Am Abend des 5. Novembers 1939 beendete Georg Elser sein Meisterstück. Er fügte das Gehäuse in die Säule ein, übergab das Holzpanel seinem Platz, indem er es versiegelte, und beseitigte dann jede Spur. Er verließ München bevor er zwei Tage später zurückkehrte. Am Tag vor der Ankunft des großen Diktators, näherte sich das kleine Individuum dieser Säule und legte sein Ohr an in der Hoffnung, aus der Ferne etwas zu hören. Wir können uns sein Lächeln vorstellen, während er noch ein Mal dieses wunderbare Ticken vernahm.

8. November 1939

Georg Elser las keine Zeitungen, und noch weniger in diesen fieberhaften Tagen. Andernfalls hätte er herausgefunden, dass Hitler sein üblicherweise jährliches Treffen annuliert hatte. Oder besser gesagt, er hatte seine Idee wieder geändert: er würde dorthin zurückkommen, aber viel eher als gewöhnlich. Seine Anwesenheit in Berlin war unerlässlich, deswegen würde er nur kurz nach München kommen. Seine Rede würde um 20Uhr beginnen, und nur eine kurze Stunde dauern. Aufgrund des schlechten Wetters, wurde ihm abgeraten mit dem Flugzeug zu reisen, und sich für den Zug zu entscheiden; langsamer, aber sicherer. Am Abend des 8. Novembers 1939 hörte Adolf Hitler um 21.07Uhr auf zu reden. Fünf Minuten später, die Einladungen älterer Kämpfer noch zu bleiben ablehnend, verließ er die Halle mit seiner Gefolgschaft an würdetragenden Nazis, unter ihnen der Chef der Polizei und Reichsführer SS Heinrich Himmler, der Propagandaminister Joseph Goebbels und der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich. Sie waren zweifelos dabei in den Zug zu steigen, als die Explosion losging, und hörten sie selbst noch nicht einmal. Sie erfuhren von dem was passiert war erst während des kurzen Halts ihres Expresszugs nach Berlin in Nürnberg.

Um 21.20Uhr, wie vorher gesehen, hörte das Tick-Tack der Uhr Georg Elsers auf zu schlagen. Mit einem schrecklichen Rumoren brach die hinter der Bühne stehende Säule zusammen, ließ den Balkon, den sie stützte sowie das Dach einstürzen, und zerstörte das Lokal. Ein Regen holziger Trümmer, Ziegelsteine und Stahl fiel herab auf die Szene und vernebelte sie vollständig. Aber die Bühne war schon leer, und die Halle beinahe verlassen. Acht Personen starben und dreiundsechzig wurden verletzt, alles alte Nazi-Kämpfer oder Brauereiangestellte. „Das Glück des Teufels“ ein weiteres Mal an seiner Seite, mit dem Hitler prahlte, es zu besitzen. Das war dagegen nicht der Fall bei dem Individuum, welches ihn herausgefordert hatte.
Am Morgen des 8. Novembers 1939 nahm Georg Elser den Zug nach Konstanz, an die deutsch-schweizer Grenze. In der kommenden Nacht, ging er zu Fuß in Richtung Grenze, in dem ruhigen Bereich, den er im vorherigen April entdeckt hatte. Aber mit der Invasion von Polen durch Deutschland am 1. September hatte sich die Situation grundlegend verändert. Er wurde von einer Patrouille bemerkt und festgenommen, die ihn durchsuchte. Er trug eine Mitgliedskarte der kommunistischen Partei, die Zeichnungen eines seltsamen Gerätes, das an ein Schema einer Bombe erinnerte, einen Zünder und eine Besuchskarte einer bekannten münchner Brauerei, dem Löwenbräu, mit sich.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Elser all diese Dinge, die ihn entschiedenerweise verdächtig machten, mit sich führte, um die helvetischen Autoritäten zu überreden ihm Asyl zu gewähren. Er ging im Gegenzug das Risiko ein, dass, sollte er in die Hände des Feindes fallen, es genau diese Objekte sein würden, die sein Ende bedeuteten.

Einer

Nach München gebracht, wurde Georg Elser von Männern der Gestapo verhört. Trotz der Schläge und der Folter, hat er nie die Version der Ereignisse geändert. Er war es, und er allein, der das Attentat vorbereitet und durchgeführt hatte. In Berlin war Hitler persönlich an der Affäre interessiert, und geriet in Zorn, als man ihm die Wort Elsers berichtete. „Wer ist der Narr, der diese Befragung führt?“, schrie er ihn an. Es war unmöglich, dass ein erbärmliches Individuum das große Reich hätte herausfordern können: die Komplexität der Aktion bewies, dass es dahinter ein breite Verschwörung geben musste, die aus… Geheimdiensten bestand, offensichtlich, und in diesem Fall den britischen. Um seine Entscheidung aufzuerlegen, schickte Hitler einen Vertrauensmann nach München, damit beauftragt die Verhöre neuzubeginnen: Heinrich Himmler.

Weder er noch all die Foltern, die er umsetzte, schafften es den Führer zu befriedigen. Elser wiederholt bis zu seinem Ende allein gehandelt zu haben, um seinen Henkern zu beweisen, dass er ganz allein es gewagt hatte Hitler anzugreifen, reproduzierte er von neuem ein Schema seiner Bombe. Himmler selbst musste schließlich offiziell die Verschwörungsthese aufgeben, und Elser, um später hingerichtet zu werden, wurde ins KZ Sachsenhausen verbracht. In Isolation, erlaubte man ihm ganz für sich an einer Werkbank zu arbeiten. Der Grund für diese anscheinend gefällige Behandlung war, dass Hitler in der Folgezeit Elser dazu bestimmte in einem Prozess der Kriegsverbrechen gegen England benutzt zu werden. Am 9. April 1945, während die amerikanischen, englischen und russischen Truppen sich immer mehr Berlin näherten, erinnerte sich Himmler an die Kühnheit des unglücklichen Schreiner-Uhrmachers, der in der Zwischenzeit nach Dachau verlegt worden war. Er gab den Befehl ihn aus der Zelle zu holen und hinzurichten. Die Neuigkeiten seines Todes gingen eine Woche später durch die deutsche Presse, und wurde einem alliierten Luftangriff zu gewiesen.

Trotz des Einsatzes der nazistischen Effizienz im Vorhinein, um die Wahrhaftigkeit der individuellen Initiative Elsers anzuzweifeln, und trotz des Geschwätzes seiner Unglückskameraden in Sachsenhausen, gemäß denen Elser, sowie Van der Lubbe, auf Befehl der Nazis selbst gehandelt haben soll, wagt es heute niemand die Aufrichtigkeit seiner Unternehmung zu leugnen. Sein Gedenken, wie das von vielen verpassten Attentaten gegen Hitler, wurde lange Zeit von Historikern verwischt, die einzig der Staatsraison gehörig waren, aber auch von bestimmten revolutionären Liebhabern der kollektiven Aktionen, welche wenig begierig darauf sind ihrer ideologischen Bewegung einen „schlechten Ruf“ zu geben.

Weil keiner unter ihnen die Beaobachtung tolerieren kann, dass die Entschlossenheit eines einzelnen Individuums, im Gegenteil zur trostosen Ohnmacht der Massen, die Geschichte hätte ändern können, indem es sie vor dem bewahrt, das als das absolut Böse definiert wurde. Um nur 13 unglückliche Minuten wurde der zweite Weltkrieg nicht abgewendet, was vielleicht Millionen Menschenleben und unaussprechliche Leiden erspart hätte. Und das, was diese Möglichkeit ergriff, das war keine erleuchtete Regierung, das war keine effektive Organisation. Das war ein kleiner Mensch, allein, oder vielleicht mit ein oder zwei Gefährten. Hier haben wir es, warum der Name Georg Elsers seit so langem vergessen ist, und hier ist auch der Grund, wieso wir ihm hier eine Huldigung geben. Nichts ist unmöglich für einen Willen, der vom Begehren getrieben wird. Und trotz der Rückschläge des Unvorhergesehenen, ist es das Tick-Tack dieses Uhrmachers, das wir noch heute vernehmen.

 

Originaltitel: 13 minuti, in Insolito sguardo, ed. Gratis, mars 2015.

Französische Übersetzung erschienen in: Avis de tempêtes. Bulletin anarchiste pour la guerre sociale; Nr. 9, September 2018.

Deutsche Übersetzung aus dem Französischen Oktober 2019 von RumpelstilzchenEditionen.

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Die Tyrannei der Flexibilität

Posted on 2021/10/07 by avisbabel

„Der moderne Mensch ist bereits so tief entpersönlicht, dass er nicht mehr menschlich genug ist, um sich seinen Maschinen zu stellen. Der primitive Mensch vertraute auf die Macht der Magie und verließ sich auf seine Fähigkeit, die Naturkräfte zu lenken und zu kontrollieren. Der posthistorische Mensch, dem die immensen Ressourcen der Wissenschaft zur Verfügung stehen, hat so wenig Vertrauen in sich selbst, dass er eher bereit ist, seine eigene Ablösung, sein eigenes Aussterben zu akzeptieren, als die Maschinen zu stoppen oder sie auch nur mit geringerer Geschwindigkeit laufen zu lassen.“ Lewis Mumford, 1956 Eine Epoche zusammenzufassen, ihre allgemeinen und charakteristischen Merkmale zu beschreiben, die sozialen Beziehungen, die sie bestimmen, zu durchdringen, ist vielleicht ein unmögliches Unterfangen. Es könnte sogar bedeuten – wie es gewöhnlich in den Arbeiten von Historikern, Anthropologen, Soziologen und Geschäftsleuten geschieht -, dass man zu einer verzerrten Herangehensweise gelangt, zu Gattungen zu gelangen, die die reale Beziehung zwischen Gesellschaft, Gemeinschaft und Individuum nicht kennen. Mit anderen Worten, wenn es um die Kultur einer bestimmten Zeit geht, besteht ein großes Risiko, dass die Individuen in den Schatten zu stellen, die sich davon lösen, die sich davon abwenden, die ein anderes Leben führen oder versuchen zu führen. Das menschliche Individuum ist jedoch nicht frei von einer Neigung, das Verhalten anderer zu assimilieren, und auch nicht von einer schrecklichen Geselligkeit, die ihn in einen fügsamen Sklaven oder einen wilden Soldaten verwandeln könnte. Wenn wir von der Kultur einer Epoche, einer menschlichen Gruppierung sprechen, beziehen wir uns immer auf die Mehrheit, obwohl man nie vergessen sollte, dass jedes Individuum, auch das geselligste, auch das anpassungsfähigste an die vorherrschenden Verhaltensweisen, seinen eigenen Weg geht. Wenn es viele Widersprüche erlebt hat, kann es sogar versucht sein, angesichts einer Enttäuschung oder einer Gelegenheit von der Regel abzuweichen und eine Ausnahme zu werden. Die Geschichte ist voll von Beispielen dafür, wie ein als allgemeine Regel akzeptiertes Verhalten, das eigentlich die Sitten und Gewohnheiten einer Gesellschaft begründet, oft mehrere unerwünschte Auswirkungen hat, die versteckter, heimlicher und doch ebenso konstitutiv für die Gesellschaft sind. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wenn mit dem Vormarsch des kapitalistischen Industrialismus die Kernfamilie dazu neigt, sich als Modell durchzusetzen (zuerst innerhalb der Bourgeoisie, dann in den anderen Schichten der Gesellschaft), entwickeln sich andere parallele Praktiken, vielleicht gegen dieses Modell. Von der Ehe, dem Eckpfeiler der patriarchalischen Kernfamilie. Es ist wichtig, sich immer vor Augen zu halten, dass keine allgemeine Beschreibung einer Epoche Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, weder auf der Ebene der Gesellschaft noch auf der Ebene des Individuums.

Diese Prämisse scheint notwendig zu sein, um mit verheerenden Folgen für die Idee, für den Traum vom freien Menschen, zu skizzieren, was von der zeitgenössischen Mentalität die Beziehungen und Individuen beherrschen soll. In der Tat haben die Modifikationen und Veränderungen auf wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Ebene eine solche Geschwindigkeit erreicht, dass jeder Versuch einer Beschreibung völlig vergeblich sein könnte. Es ist ein bisschen so, wie mit den brillantesten Ökonomen (und man muss schon genau hinschauen, um unter den Scharlatanen der Nützlichkeit jemanden zu finden), die es seit mindestens zwei Jahrzehnten aufgegeben haben, weitere Vorhersagen über die wirtschaftliche Entwicklung zu machen, weil sie erkannt haben, dass die Geschwindigkeit der Veränderungen so groß ist, dass jede Vorhersage, die schon von Anfang an fragwürdig war, nichts als reine Spekulation ist.

Selbsterfüllende Prophezeiungen, ein Konzept, das aus dem Bereich der Ökonomen stammt. Auf jeden Fall verbreiten und verallgemeinern sich die Veränderungen im Alltagsverhalten so schnell, dass wir bald nicht mehr die kritische Übertreibung brauchen, mit der der deutsche Philosoph des letzten Jahrhunderts vor dem moralischen Versagen warnte, das die Technifizierung der Welt mit sich bringt.

Von der Kaserne zum offenen Raum

Nach einer anfänglichen Periode chaotischer und wilder industrieller Entwicklung, die das verwüstete, was allgemein als unveränderlich galt, obwohl dieser Zustand seine eigene Geschichtlichkeit hatte, stellte die Industrialisierung ihre technischen Errungenschaften zur Schau, erwies sich aber als völlig unfähig, Elend und Armut zu verbergen. Sei es der Sozialismus mit der Idee einer Planwirtschaft nach den Bedürfnissen der Gesellschafts-Staates, sei es der demokratische Liberalismus mit der Idee einer Marktwirtschaft, die von einem Richter-Staat reguliert wird, der die verschiedenen Interessen vertritt, sei es der Faschismus mit der Idee einer korporatistischen Wirtschaft: Alle diese Massenströmungen haben versucht, eine Antwort auf die Lawine der Technologie und die daraus resultierenden beispiellosen Umwälzungen zu geben. Das „moralische Vakuum“, das durch die Entmenschlichung der sozialen Beziehungen entsteht, konnte nur eine Antwort von rechts und links erhalten. Parallel zur impliziten Standardisierung, die durch die industriellen Techniken der Zeit induziert wurde, wären die sozialen Beziehungen wiederum demselben Weg gefolgt. Die gesamte Gesellschaft begann einer riesigen Kaserne zu gleichen, die um den Konformismus früherer bäuerlicher Gesellschaften nicht mehr zu beneiden war, dank einer Uniformierungskultur, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg an Fahrt gewann. Der Massenkonsum wurde damals als eine viel stärkere Kraft der Anwerbung, Nivellierung und des Zusammenhalts konzipiert (Ostermontag). Im Gegenzug für ein solch tristes Leben zeichnete sich für immer mehr von der Industriegesellschaft unterdrückte Schichten endlich ein gewisser materieller Wohlstand ab. In den 1970er Jahren hätte diese Mentalität vor allem angesichts des Ansturms von Außenseitern, Unzufriedenen, Träumern und jungen Rebellen Risse und Schwächen bekommen, zur Überraschung der alten revolutionären Kasernen, die dachten, dass ein neuer Anstrich der Wände für das Massenglück ausreichen könnte. Ablehnung von (nicht-kreativer) Arbeit, Ablehnung starrer Gewohnheiten, Ablehnung von Standardisierung und Uniformität, Ablehnung einer am Ort der Produktion verankerten Identität. Nachdem die subversiven Reste, die in diesen Angriffen enthalten waren, beseitigt waren, nachdem die revolutionären Minderheiten, die oft noch bestimmte Kasernen-Theorien (Marxismus, Leninismus, Staatssozialismus …) in sich trugen, getötet, eingesperrt und zerschlagen worden waren, hätte dieser proteanische Impetus sein trauriges Schicksal ereilt. Um, einmal verstümmelt und amputiert, in einer umfassenden Umstrukturierung des gesamten Unternehmens aufgefangen zu werden. Heute scheint diese Bewegung kurz vor der Realisierung zu stehen. Die alten ökonomischen Gleichgewichte wurden transformiert, die mit den neuen Produktionsmodellen unvereinbaren Mentalitäten wurden eliminiert oder isoliert, der Boden für das Wachstum eines anderen westlichen Kapitalismus wurde durch die Kraft der Delokalisierung, die Demontage der großen Produktionsstrukturen und ihrer Begleiterscheinungen befruchtet. Politik (Gewerkschaften, Parteien usw.), Automatisierung, Neudefinition des Verhältnisses zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit (Verwischung der Grenzen), gewisse Liberalisierung der Sitten usw. Auf jeden Fall erscheint die Kasernenmentalität von damals heute rückschrittlicher denn je. Die moralische Starrheit, die auf christlichen Vorbildern beruht, ist einem Konsumismus gewichen, für den die Verdinglichung aller Bereiche des Lebens, selbst der intimsten, zur Norm geworden ist. Und die brutale Beschleunigung dieser tiefgreifenden Veränderungen hätte nicht (ohne möglicherweise Aufstände zu provozieren, die in der Lage wären, die Türen zum Unbekannten zu öffnen), ohne die Einführung und Verallgemeinerung von Technologien in allen Bereichen der Gesellschaft nicht geschehen können.

Eine neue Mentalität in einer neuen Welt

Es lohnt sich es immer wieder zu wiederholen. Der Industrialismus, die Technologien, sind nicht nur für die Verwüstung und dauerhafte Vergiftung des Planeten und seiner Bewohner verantwortlich. Sie implizieren auch eine Mentalität, die das paradoxe Verdienst hat, viele Aspekte der Freiheit darzustellen, indem sie sie von innen heraus völlig entleert, d.h. sie unfähig macht, nach Freiheit zu streben. Ein funktionaler Liberalismus, der das genaue Gegenteil des anarchistischen Verhältnisses zu letzterem ist. Heute, in der neuen Welt, sprechen wir zum Beispiel nicht mehr von Arbeitsplätzen, sondern von offenen Räumen. Wir sprechen nicht von Produktion, sondern von Kreation/Schöpfung. Wir sprechen hier nicht von Mitarbeitern, sondern von Mitstreitern. Sie provoziert nicht Gehorsam, sondern Teilnahme. Überall blüht diese neue Mentalität, die entschlossen ist, die letzten Bastionen des „altmodischen“ Industrialismus zu beseitigen, gewinnt an Schwung, sammelt Ressourcen und Kapital auf, um zu den Märkten „durchzubrechen“. Und das verändert alles, stellt alles auf den Kopf. Wer hätte gedacht, dass das kleine schuldige Vergnügen am Samstagabend, nach einer harten Woche der Ausbeutung, eine Pizza von zu Hause zu bestellen, zu einem auf unzählige andere Bereiche ausgedehnten Ernährungsmodell werden würde? Dass der „Luxus“, eine Nacht in einem Hotel zu verbringen, sich „demokratisieren“ würde, um alle Wohnungen der Welt in potenzielle Hotelsuiten zu verwandeln? Auf die Gefahr hin, eher den Baum als den Wald zu betrachten, könnten wir sagen, dass die Technologie, die das, was wir über den „Menschen“ und seine Art, mit anderen in Beziehung zu treten, zu wissen glaubten, zutiefst erschüttert, durch einen dünnen Metallkasten mit einem hellen Touchscreen repräsentiert wird. Nach dem Start ist es unmöglich, mit irgendjemandem im Voraus einen Termin zu vereinbaren. Es ist zu starr, es ist nicht Teil der permanenten Flexibilität, zu der wir verurteilt sind (oder besser gesagt, die wir uns als schlechten Ersatz für Freiheit anmaßen zu leben). Es ist schwierig, sich auf eine Vereinbarung zu verlassen, denn alles unterliegt einer lebendigen, dringenden und kurzfristigen Änderung. Es ist kompliziert, ein Geheimnis oder eine beschämende Situation zu bewahren, denn alles wird geteilt, man muss teilen, auf die Gefahr hin, unsozial zu sein. Es ist unmöglich, nicht zu präzisieren, wo wir uns befinden. Man hat fast vergessen, dass ein Gespräch mit jemandem von Angesicht zu Angesicht nicht dasselbe ist wie die Worte auf oder in einem Bildschirm, möglicherweise hinter einem Menschen. Dass wir mit jemandem übereinstimmen, bedeutet nicht implizit, dass wir in letzter Minute durch diese verdammte technologische Prothese ändern können, was gestern festgelegt wurde. Wir haben vergessen, dass die Zeit, die wir mit jemandem verbringen, die Anwesenheit dieses Geistes ausschließt, der mit dem Klang der Glocken und der wechselnden Helligkeit in die Beziehungen eindringt. Wir haben vergessen, dass es nicht möglich ist, sich einer intensiven, manchmal schmerzhaften, aber besonders humanen Tätigkeit des Nachdenkens hinzugeben, wenn jeden Moment, wie ein Gefangener in seiner Zelle, der technologische Aufseher einbrechen kann.

Die wenigen „Partisanen“, die trotzdem weitermachen oder einfach versuchen, die Präsenz des elektronischen Halsbandes des Handys einzuschränken oder drastisch zu reduzieren, haben ein schweres Leben. Nicht nur, weil sie durch den Ring springen müssen, wenn sie auf den Kontakt mit einer Institution, einer Firma, einem Eigentümer, irgendeinem Arzt warten (den sie anrufen werden, wann und wie es ihnen passt), nicht nur, weil es fast keine Arbeit mehr gibt, ohne dass sie gezwungen sind, ständig mit dem Chef und mit Kollegen zu kommunizieren, nicht nur, weil ihnen Einladungen zu verschiedenen sozialen Beziehungen durch den Kopf gehen (die fast ausschließlich durch den Geist fixiert werden, und natürlich in letzter Minute, vorbehaltlich ewiger Änderungen von Zeit und Ort …), sondern weil sie die Gefahr laufen, jeglichen Kontakt zu verlieren (wenn sie ihre digitale Präsenz nicht erneuern, hören sie in den Augen der anderen auf zu „existieren“).

Auch sie haben ein schweres Leben, denn es ist nicht nur die Kaserne oder der Priester, es ist nicht nur die Schule oder die Arbeit, die sie all das erleiden lässt, sondern auch ihre Angehörigen tragen zu dieser Tyrannei der Flexibilität bei. Sie sind auch dem Senden von Bits und Bytes ausgesetzt. Sie erzwingen auch, manchmal gegen ihren (ausdrücklichen) Willen, ein verpflichtendes und schmerzhaftes Wissen mit dem Geisterwächter, bauen, Ring um Ring, Kette um Kette, das technologische Halsband um ihren Hals. Im Namen der Freundschaft, der Gefährtenschaft, der Liebe, des Teilens, natürlich. Und das ist vielleicht der schrecklichste Aspekt: Wie macht man einem Freund klar, dass man nicht nur nicht telefonieren kann, sondern es auch nicht gerne tut? Wie stellen man sicher fest, dass ihr Ärger, ihre Frustration, ihr Unmut nach einer erneuten Terminverschiebung durch den Geisterwächter nicht in eine hochmütige Starrheit, eine elitäre Arroganz, eine Unfähigkeit, die Sorgen anderer zu verstehen, übergeht? Manchmal hat man den Eindruck, unter den letzten Mohikanern, dass alles umsonst ist. Ermüdet davon, jähzornig und unflexibel zu erscheinen, nimmt man schließlich in Kauf, eines zu werden: zu selten, zu starr und „uncool“.

Bereits Anfang der 1990er Jahre warnte uns ein anarchistischer Text vor der Ankunft der neuen Mentalität, die in den Labors der Macht geschmiedet wurde: flexibel, inhaltsarm und basierend „auf kurzfristiger Anpassung, auf dem Prinzip, dass nichts sicher ist, aber alles. festgelegt werden kann“, es kann gelöst werden. Diese Mentalität „produziert eine moralische Degradierung, in der die Würde der Unterdrückten am Ende mit der Garantie des schmerzhaften Überlebens verhandelt und verkauft wird“. Wo „alles zusammenarbeitet und übereinstimmt, um Individuen zu bilden, die in jeder Hinsicht bescheiden sind, unfähig zu leiden, dem Feind zu begegnen, zu träumen, zu wünschen, zu kämpfen, zu handeln“, können sich Anarchismus und Anarchisten nur auf die Gefahr hin anpassen, als solche zu verschwinden. Und das ist vielleicht das, was passiert, obwohl es schwer zu erkennen und zu veranschaulichen ist, wir sind darauf reduziert, uns auf ein dummes und begrenztes Bild wie das des weit verbreiteten Gebrauchs des kommunikativen Halsbandes zu berufen. Wie könnten Anarchisten ernsthaft einen Vorschlag wie den der permanenten Verbindung vor nicht allzu langer Zeit verbreiten, um zu versuchen, seinen schrecklichen Konsequenzen zu entkommen? Wie könnte ein Anarchist am Ende zustimmen, umzukehren? Permanent mit eingeschaltetem Mikrofon und GPS, d.h. auch jenseits jeglicher „Notwendigkeit“, die als unvermeidlich angesehen wird (wie z.B. für die Arbeit zur Verfügung zu stehen), sich nicht nur unangemessenen Abhör- und Verfolgungsmaßnahmen aussetzt, sondern auch jeder bekannten Person oder jedem Außenstehenden, der mit unsichtbaren Gitterstäben in der Tasche den Käfig betritt? Ende der 1990er Jahre hatte ein Universitätsaufsatz das Verdienst, die Charakteristika des neuen Geistes einzufangen: „Das Bild des Chamäleons ist verlockend, um den Fachmann zu beschreiben, der es versteht, seine eigenen Beziehungen so zu gestalten, dass er leichter auf andere zugehen kann“, denn „ Anpassungsfähigkeit ist der Schlüssel, um den Geist des Netzwerks zu erreichen“. Deshalb ist es „realistisch, in einer vernetzten Welt ambivalent zu sein …, weil die zu bewältigenden Situationen selbst komplex und unsicher sind“. Ohne zu viel Heuchelei wurde erkannt, dass dies gleichbedeutend ist mit der „Aufopferung … der Persönlichkeit, verstanden im Sinne einer Seinsweise, die sich unabhängig von den Umständen mit ähnlichen Haltungen und Verhaltensweisen manifestieren würde“. Kurz gesagt, „um sich in einer verbindenden Welt niederzulassen, muss man ausreichend formbar sein“. Und wer würde nicht akzeptieren, einer zu werden? Dann besteht kein Zweifel, dass „Dauerhaftigkeit und vor allem Beständigkeit in sich selbst oder dauerhaftes Festhalten an“ Werten „als inkongruente oder pathologische Starre kritisiert werden kann. Und, je nach Kontext, als Ineffizienz, Unhöflichkeit, Intoleranz, Unfähigkeit zu kommunizieren“.

Der zu zahlende Preis

Die Ablehnung der Mentalität, die das Boot und seine Welt einflößen, scheint zu bedeuten, dass man sich sein eigenes Grab schaufelt, fern und vergessen bleibt. Nicht verbunden zu sein, ist gleichbedeutend damit, unsozial, mürrisch, intolerant und starr zu sein. Und es besteht kein Zweifel daran, dass der Preis, der für den Versuch zu zahlen ist, sich nicht von der Flut der „Kommunikations“-Technologie mitreißen zu lassen, im Laufe der Jahreszeiten und Jahre weiter steigen wird. Ob man nun zu den wenigen Deserteuren und Widerspenstigen gehört, die sich weigern, täglich von Anrufen und Nachrichten terrorisiert zu werden, oder ob man zu einer Einsamkeit verurteilt ist, wie sie kürzlich ein chilenischer Gefährte beschrieb, als die, die mit einer verborgenen Existenz einhergeht. Denn vielleicht ist es ja gerade eine neue Form der „Klandestinität“, die man erleben muss: die der Flucht aus den Tentakeln der technologischen Krake. Nicht nur, dass es nicht so sehr darum geht, der böswilligen Aufmerksamkeit der Repressionsmaschine in Uniform und Robe zu entgehen, sondern Schritt für Schritt eine viel wichtigere tägliche Repression zu bekämpfen, wenn man das so sagen kann, nämlich die Anpassung an die neue Welt des Alptraums in Bewegung.

Die Krake ihrer Antennen und Lichtleitfasern zu berauben, würde in der Tat viel an Bedeutung verlieren, wenn sie ihr Gift kampflos in unsere Adern und die unserer Komplizen und Liebsten eindringen ließe. Wie viel, um Schritt für Schritt eine viel wichtigere tägliche Verdrängung zu bekämpfen, wenn man so sagen darf, die die Anpassung an die neue Welt des Alptraums in Bewegung ist.

„Der Mensch kann nur das außerhalb seiner selbst bauen, was er zuerst in sich selbst erdacht hat“, warnte ein Dichter, der vom Unmöglichen träumte. Um eine Welt ohne Autorität zu errichten, muss man sie zunächst konzipieren. Es darf nicht programmiert, schematisiert oder gemessen werden. Nein, nur durch die Vorstellung, im doppelten Sinne des Wortes: an sie zu denken, heißt sie zu befruchten. Aber um eine Welt zu begreifen, müssen wir etwas anderes in uns haben, das keine Reflektion ist. Und genau dieser Aspekt des menschlichen Wesens ist nun das Ziel, Angriff um Angriff, der technologischen Welt. Wir können nicht gegen diesen „neuen Menschen“, diesen flexiblen und vernetzten Zombie – der in jedem von uns geboren wird – kämpfen, ohne in unseren Tiefen und in unseren Affinitätskreisen eine Welt zu erdenken, eine fiktive, einen Traum, der sich qualitativ von der Käfigwelt unterscheidet, in der wir gezwungen sind, zu überleben. Dieses Imaginäre kann nicht in unserem Gehirn und Herzen abgeschottet bleiben, es sei denn, wir ersticken vor Schmerz: Es muss auch in die Realität eindringen. Jenseits der zu führenden Kämpfe, der zu erwägenden Handlungen, der Konflikte, an denen man teilnimmt, oder besser gesagt, mit denen man vertraut ist, stellt sich die Frage nach der praktischen Ethik. Lehnen wir die Invasion der Elektronik so weit wie möglich und so weit wie unmöglich ab, kultivieren wir keine Abhängigkeit von technologischen Hilfsmitteln, passen wir uns nicht dem Zeitalter des Augenblicks an. Den Umgang mit Tinte auf Papier fortsetzen, um sich zu etwas mehr zu öffnen als einer schäbigen Reproduktion des Vorhandenen, sich den Inhalt dieser fast veralteten Objekte, die so schnell den Staub der Zeit aufsaugen, aneignen, um ihre Einzigartigkeit aus einer begrenzten Erfahrung heraus zu bereichern. Trage nicht zur Verarmung der Sprache bei, Schöpfer der Welten. Vermeide den Einsatz von Technologie, um Probleme zu lösen, die diese nicht erst seit gestern benötigen. Lehne das Modell des „neuen Menschen“, das sich um uns herum ausbreitet, ab, auch um den Preis, obsolet, unbehandelbar, irritierend zu erscheinen. Hier ist der neue Partisan, eine neue Art von Untergrund, der benötigt wird, um zu kämpfen, zu handeln und zu atmen, in einer komplett vernetzten Welt.

 

(Avis de tempêtes, n°34, Oktober 2020. Übersetzt von Anarchist Black Cross Wien]

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An die Krone gekettet

Posted on 2021/10/07 by avisbabel

“Die furchterregendste Tyrannei ist nicht die, die den Anschein von Willkür erweckt, sondern die, die mit der Maske der Legalität bedeckt zu uns kommt. »

A. Libertad, 1907

Angesichts der sich weltweit ausbreitenden Covid-19-Epidemie und der drastischen Maßnahmen, die von China bis Italien nacheinander folgen, stellt sich als erstes die Frage, wer zwischen der Henne der Autorität und dem Ei der Unterwerfung derzeit den größten Schaden anrichtet. Diese abrupte staatliche Beschleunigung von Kontrollen, Verboten, Schließungen, Militarisierung, Verpflichtungen, Medienbombardierungen, roten Zonen, Priorisierung von Toten und Leiden, Beschlagnahmungen, Einsperrungen aller Art, die typisch für jede Kriegs- oder Katastrophensituation sind, fällt nämlich nicht vom Himmel. Sie gedeiht auf einem Terrain, das weitläufig durch den sukzessiven Verzicht der tapferen Untertanen des Staates auf jegliche formelle Freiheit im Namen einer illusorischen Sicherheit gepflügt ist, aber sie gedeiht auch durch die allgemeine Entmachtung jedes Aspekts unseres Lebens und durch den Verlust der autonomen Fähigkeit des Einzelnen, an eine völlig andere Welt als diese zu denken.

Wie ein Anarchist vor fast zwei Jahrhunderten sang, ist regiert zu werden im Prinzip gleichbedeutend damit, “ständig beobachtet, inspiziert, ausspioniert, gelenkt, dirigiert, reguliert, eingezäunt, indoktriniert, katechisiert, kontrolliert, taxiert, bewertet, zensiert, befohlen” zu werden, und dies “unter dem Vorwand des öffentlichen Nutzens und im Namen des allgemeinen Interesses”. Ob die Diktatur das Werk eines einzelnen Menschen, einer kleinen Gruppe oder der Mehrheit ist, ändert nichts; ob diese durch Laster oder Tugend entfacht wird, auch nicht; ob das in Zeiten einer Epidemie technologischer Häuslichkeit oder, was noch banaler ist, in Zeiten bürgerlicher oder polizeilicher Einflussnahme geschieht, genauso wenig. Welches auch die beschützenden Erscheinungsformen der Regierung für die Menschen und Dinge des Augenblicks sein mögen, auf welchen sicherheitspolitischen Vorwänden sie auch beruhen mögen, jede Regierung ist von Natur aus ein Feind der Freiheit, und es wird nicht die momentan laufende Situation sein, die uns widerspricht. Zu dieser grundsätzlichen Banalität, die die Anbeter der Macht oben erfreut und die Augen derer, die sich von unten danach sehnen, leuchten lässt, wollen wir hinzufügen, dass es auch keine Hirten ohne Herden gibt: Wenn auch die bloße Existenz einer zentralisierten Autorität in Form eines Staates zwar die plötzliche Verhängung von Hausarrest in einem noch nie dagewesenen Ausmaß über ganze Bevölkerungsgruppen dort und da ermöglicht, ist es dennoch eine weitgehend integrierte, vorbereitete und ständig erneuerte freiwillige Knechtschaft, die solche Maßnahmen gestattet und vor allem wirksam werden lässt. Gestern im Namen von Krieg oder Terrorismus, heute im Namen einer Epidemie und morgen im Namen einer x-beliebigen nuklearen oder ökologischen Katastrophe.
 Not und Angst sind diesbezüglich die einzigen Ratgeber für die verängstigten Schlafenden, die, einmal von jeder eigenen inneren Welt beraubt, in einem Reflex Zuflucht nehmen, der auf das einzige konditioniert ist, was sie kennen: die muskulösen Arme von Vater-Staat und unter den beruhigenden Rockzipfel von Mutter-Wissenschaft Zuflucht zu nehmen. Eine tägliche Arbeit, die nicht nur durch die jahrzehntelange Repression gegen jene, welche sich seit dem letzten Versuch den Himmel zu stürmen um sich der Herrschaftsordnung zu widersetzen (der Lohnarbeit, der Schule, der Familie, der Religion, der Heimat, solcherlei), geleistet wurde, sondern auch durch die gemeinsame Sache all der Autoritären und Reformisten, die nie aufhören wollen, in Absprache mit einer Welt, die Atomisierung und Massifizierung perfekt miteinander verbindet, Individuen in Herden zu verwandeln.

“Für den Einzelnen gibt es keinerlei Pflichten, welche auf Basis des Bürgerdaseins diktiert sind. Ganz im Gegenteil. Der Staat ist der Fluch des Individuums. Der Staat muss verschwinden. Dies ist eine Revolution, an der ich gerne teilnehmen würde. Zerstört das Staatskonzept an sich zur Gänze, verkündet, dass die freie Wahl und die geistige Verbundenheit die alleinige und einzig wichtige Bedingung für jede Vereinigung sind, und Sie werden ein Prinzip der Freiheit erhalten, das es wert ist, genossen zu werden”.

H. Ibsen, 1871

Etwa zehn Jahre nachdem er diese Beobachtung in einem Brief an einen Literaturkritiker formuliert hatte, schrieb der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen, der dennoch von einem offiziellen Rente lebte ein Stück, das einige Anarchisten aufhetzen würde: Ein Feind des Volkes. Die Geschichte spielt in einem Dorf, dessen Wasser durch ein tödliches Bakterium verseucht ist, was zu einem Streit zwischen den beiden Brüdern, Arzt und Präfekt, die den örtlichen Kurort gegründet haben, führte. Ist es notwendig, ihre reiche Zukunft in Frage zu stellen, indem man die katastrophalen Arbeiten des dörflichen Wassersystems durchführt und die Bewohner vor der Gefahr warnt? Nachdem es nur noch eine Handbreit davon entfernt ist, die Menge davon zu überzeugen, alles zu stoppen sieht der gute Arzt, wie sich diese unter dem Druck der Prominenz und des Einflusses der Lokalzeitung gegen ihn wenden und er darin endet alleine gegen alle zu sein. Aber machen Sie sich nichts vor. In dieser Arbeit wollte Ibsen nicht die Wahrheit der Wissenschaft angesichts des Obskurantismus oder des Marktes preisen (im selben Jahr, 1882, wurde Bakunins posthume Kritik an der Revolte des Lebens gegen die Wissenschaft in französischer Sprache veröffentlicht), sondern die Tyrannei der “kompakten Mehrheit”, jener vielseitigen Masse, die aufgrund der Interessen der Mächtigen wankte, anprangern.

Mehr als ein Jahrhundert ist seit diesem theatralischen Erfolg vergangen, der nun aus einer anderen Galaxie zu kommen scheint, und die Verbindung von Staatsvernunft und der Wissenschaft der Vernunft seitdem alle Schrecken gezeigt hat, zu denen sie fähig war, von den industriellen, militärischen und nuklearen Massakern innerhalb und außerhalb der Grenzen bis hin zur dauerhaften Vergiftung des gesamten Planeten und der reglementierten Zusammenhänge der menschlichen Beziehungen. In einer globalisierten Welt, in der die Menschen ständig im Griff einer technisch-industriellen Umstrukturierung sind, die jede empfindsame Wahrnehmung (von der alten Trennung zwischen dem, was produziert wird, und seinem Zweck, bis hin zu seiner eigentlichen Bedeutung für die Realität) verstört, was bleibt dann für die Besitzlosen übrig, wenn das Unbekannte eines neuen tödlichen Virus eintrifft? Wenn man sich an schwankende Statistiken hält, die behaupten, dass etwa 70% der Bevölkerung von Covid-19 betroffen sein werden, dass nur 15% der Betroffenen mehr oder weniger schwere Symptome haben werden und dass 2% aufgrund des Alters und vorherigem Gesundheitszustand sterben werden? Die Befehle der Macht wie üblich befolgen, die bereits jedes Überleben von der Geburt bis zum Tod regelt, zwischen der Erpressung aufgrund des Hungers und der Erpressung aufgrund des Gefängnisses, und in Erwartung darauf wie beim Klima, dass es dieselben Verantwortlichen für die Ursachen sind, die die Folgen lösen werden? Sollte man sich nicht die Frage des Unterschieds zwischen Überleben und Leben stellen, zwischen der Quantität eines Lebens, das von seiner Geburt an bis zu seiner Auslöschung unaufhaltsam abnimmt, und seiner Qualität, was wir hier und jetzt mit ihm tun wollen, unabhängig von seiner Dauer, die nicht im Voraus bekannt ist? Eine Eigenschaft, die auch in Frage gestellt werden kann, wenn sie von jedem Freiheitsstreben getrennt wird, wenn sie bereit ist, sich freiwillig mit einem einfachen Fingerschnipsen vom Rudelführer einsperren zu lassen.

Denn anstatt sich lieber über die autoritäre und technologisierte chinesische Verwaltung der Covid-19-Epidemie zu wundern, haben 60 Millionen Italiener am Abend eines bestimmten 9. März über Nacht den minimalsten kritischen Geist aufgegeben, indem sie das “Ich bleibe zu Hause” akzeptierten, das der Staat für mindestens vier Wochen verordnet hatte, nachdem er die Einrichtung einer riesigen roten Zone getestet hatte, die das Land in zwei Teile zerschnitt. Zum Zeitpunkt in dem wir diesen Text schreiben, haben sich derartige strenge Quarantänemaßnahmen in ebensolchem großen Umfang auf Spanien (47 Millionen Einwohner) ausgeweitet, währenddessen Portugal, Rumänien, Serbien und die Vereinigten Staaten gerade den Notstand ausgerufen haben, mit allem, was dies an Zwängen bezüglich dieser unverantwortlichen Menschen bedeutet, die es wagten, der großen geregelten Einschliessung zu trotzen. Einer Gefangenschaft mit samt der Erlaubnis, sich innerhalb dessen bewegen zu können, was die endgültige Basis bildet: Wohnung-Arbeit-Supermarkt. Um eine Vorstellung von dem was folgt zu vermitteln, wurde die von Drohnen unterstützte Armee gerade in Spanien auf den Bahnhöfen und Straßen der Großstädte (Militärpolizei und Mitglieder der Unidad Militar de Emergencias, UME) in Stellung gebracht, ebenso in Italien mit den 7000 Soldaten, die sie nach der Operation Strade Sicure im Jahr 2008 nicht mehr verlassen haben, und ebenso viele, die sich in höchster Alarmbereitschaft befinden, in Erwartung von Unruhen, wenn der Höhepunkt der Ansteckung den Süden der Halbinsel erreichen wird. Jedes Land wird auch vorerst seine kleinen Eigenheiten in Bezug auf die Genehmigungen für “nicht wesentliche” öffentliche Orte beibehalten können, um einen Fetzen demokratischer Fassade zu erhalten – Kioske und Parfümerien in Italien, Weinhändler und Hotels in Frankreich, Märkte und Friseure in Belgien, aber ohne jegliche Illusionen über ihre Dauer.

Wir sind Zeugen einer Bewegung der nationalen Einheit, welche die meisten (Über)Lebensbereiche um eine Ordnung herum berührt, die sich selbst einen Freibrief gegeben hat, und dies auf einer Ebene, das in den meisten westlichen Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellos ist. Eine Übung der freiwilligen Knechtschaft, die durch die verschiedenen Notfälle des “Terrorismus” oder der “Naturkatastrophen” in den letzten Jahren an verschiedenen Orten gut vorbereitet und in kleinem Maßstab getestet worden war, aber nie so lange und mit solcher Intensität. Und es besteht kein Zweifel daran, dass diese Übung wahrscheinlich viel länger dauern wird als angekündigt, wodurch sich neue Situationen ergeben werden, die immer noch schwer vorhersehbar sind.

***

“Die Luft steht still. Wie weit sind die Vögel und die Quellen entfernt! Es kann nur das Ende der Welt dahinter geben”.

A. Rimbaud

Angesichts dessen, was die Herde am besten zu tun weiss, nämlich die Befehle auszuführen, gibt es auch noch eine Reihe von Personen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht so leicht unterwerfen wollen, andere, die sicherlich versuchen werden, Lücken in den Einsperrvorrichtungen zu finden, wenn der Desorientierungseffekt sich einmal aufgelöst hat (und mit Hilfe der Langeweile der Selbstabschottung), sowie jene tüchtigen Seelen, die beabsichtigen, ihre rastlose Arbeit fortzusetzen, um die Herrschaft zu untergraben oder die sich öffnenden Gelegenheiten zu nutzen.

Warum sollte der Virus der Autorität im Grunde genommen darauf verzichten, die Angst zu benutzen, wie er es immer getan hat, auch wenn es bedeutet, sie gegebenenfalls zu verstärken oder zu erzeugen, nicht nur, um seine Kontrolle über Körper und Geist zu intensivieren, sondern vor allem, das Gift der Unterwerfung angesichts eines unerwarteten Ereignisses zu verstärken, das die Karten neu mischen kann, indem es ihm entgleitet?

Was könnte sicherer sein für die Macht als beispielsweise ein Krieg, in dem die heilige Gemeinschaft, Religion und Opferbereitschaft einen großen Teil der Bevölkerung um ihn herum verschweißen, aber was ist auch unsicherer als ein Krieg, wenn sie ihn verliert, oder nicht durchführen kann, mit einer anfänglichen Unzufriedenheit, nicht aus der Opposition, sondern aus Protest wegen Misswirtschaft oder zu hohen Preisen, die wiederum zu einer globalen Infragestellung führen können, wenn die revolutionären Versuche nach dem Ersten Weltkrieg in den besiegten Reichen (Deutschland, Russland, Ungarn) euch noch etwas sagen. Man wird uns entgegnen, dass sich die Zeiten geändert haben und dass es damals zumindest eine Ersatzutopie für das Existente gab. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ein zeitgenössischer westlicher Staat von der Panik des Überlebens, von der Wut angesichts der höheren Sterblichkeitsrate aufgrund eines weitgehend abgebauten Gesundheitssystems und von einem Virus, der 20 bis 30% aller Berufe vorübergehend lahmlegen kann, überwältigt ist (110 mobile Gendarmen aus Grasse sind seit dem 12. März eingesperrt, ebenso wie alle Polizisten des Comicos von Sanary-sur-Mer seit dem 14. März oder ihre 400 Pariser Kollegen der Netzbrigade der Region Paris), was Möglichkeiten schafft, oder durch Revolten bestimmter Gebiete oder Bevölkerungsgruppen, und das alles innerhalb einer geschwächten Wirtschaft*. Er sieht sich einer neuen Situation gegenüber, die sogar außer Kontrolle geraten könnte.

Sowohl bei der Befriedung der Gesellschaft als auch bei Konflikten ist es für jeden durchaus bequem, die Dinge so zu sehen, wie es ihm passt, oder nur das zu sehen, was vor seiner Nase präsentiert wird, und dies umso mehr, wenn die von den Machtsprechern verbreiteten Informationen immer karger werden, was in Zeiten der Krise oder Instabilität, wenn alle zusammenrücken, noch deutlicher wird. Aber wer hätte je gedacht, dass Zeitungen oder soziale Netzwerke ein Abbild der Realität widerspiegeln oder dass, wenn sie nichts über den laufenden Antagonismus sagen, außer dass sie seine Bedeutung verändern oder sich mit einer Verhaftung brüsten, nichts passiert? Selbst mit dem wissen, dass wir erst am Anfang einer neuen Periode stehen, die sich gerade öffnet und monatelang andauern könnte, ohne einer geraden Linie zu folgen, kam eines der ersten Anzeichen für einen Aufstand aus den italienischen Gefängnissen, und wie noch dazu!
 Nach den Maßnahmen des Staates gegen die Ausbreitung von Covid-19 und auch in Bezug auf die Gefängnisse (Besuchsverbot, Abschaffung der Halbfreiheit und der Aktivitäten im Inneren) brachen am 7. März die ersten Meutereien aus und breiteten sich innerhalb von drei Tagen auf etwa dreißig Gefängnisse von Norden nach Süden aus. Mindestens 6000 Gefangene rebellierten: Geiselnahme von Wächtern oder Personal, Öffnung von Zellen und Verwüstung von Teilen oder sogar ganzen Gefängnissen (wie das nunmehr unbenutzbare Gefängnis von Modena), verschiedene Brände und Besetzung von Dächern, aber auch Fluchten wie in Foggia, wo 77 Gefangene entkommen konnten (wovon vier noch frei sind) nachdem sie den Zugang zum Ausgang erzwangen, nachdem sie alle Akten und Dokumente, die ihre Identität betreffen, zerstört hatten; zumindest ein Dutzend Tote kennzeichneten diese erste Rebellion.

In einem anderen Zusammenhang, nach der großen, jenseits der Alpen verordneten Einschliessung, bei der jede Person, die sich ausserhalb des Hauses begibt, mit einem selbst auszufüllenden Zertifikat (eine Erklärung seines Ehrenworts) ausgerüstet sein muss, die den Grund des Verlassens des Einschlusses bescheinigt, wobei das Kästchen Arbeit, Gesundheit und anderen sehr begrenzten, nur auf die vom Staat genehmigten Bedürfnisse (wie Einkaufen oder Gassi gehen mit dem Hund, aber nur allein und in der eigenen Nachbarschaft) angekreuzt wird, hat nun ebensolcher Staat die Daten der ersten Tage der Ausgangssperre veröffentlicht: über 106.000 Personen wurden kontrolliert, fast 2.160 wurden wegen Verletzung des Ausnahmezustands mit einer Geldstrafe belegt (11. März), dann wurden von 157.000 überprüften Personen weitere 7.100 mit einer Geldstrafe belegt (13. März). [Am 18. März wurden 46 000 Verstöße gegen das Ausgehverbot gemeldet. Anm. d. Ü.] Unterschiedlichste Fälle werden berichtet; sie reichen von unverschämten Menschen, die es wagten, sich auf ein Bier in einem Park zu treffen, über unverfrorene Menschen, die den menschenleeren Strand nutzten, um Beach-Volleyball zu spielen, bis hin zu einem Familienvater, der für seinen zu Hause festsitzenden Sohn eine Playstation kaufte, oder einem Paar, das lieber von Angesicht zu Angesicht als am Telefon streitet, bis zu dem Versuch, einen Geburtstag unter Freunden zu feiern oder Karten unter Nachbarn zu spielen, obwohl das Dekret verlangt, dass alle je nach dem Wohnsitz, an dem sie angemeldet sind, zu Hause bleiben und nur einer getrennt vom anderen rausgehen darf, wobei sie sich bei jeder Kontrolle rechtfertigen müssen. Viele Großstädte (Mailand, Bologna, Turin, Rom) haben somit Parks, Gärten, Fahrradwege oder andernorts die Strände geschlossen, um zu verhindern, dass sich Widerspenstige finden, die das gute Wetter ausnutzen.

Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass diese zaghaften Übertretungen derzeit eher mit der plötzlichen Vervielfachung der Verbote als mit einer Rebellion gegen diese Maßnahmen zusammenhängen. Wenn viele jetzt mehr Freizeit zur Verfügung haben, weil sie nicht in der Schule oder bei der Arbeit sind, finden sie sich immer noch auf die gleiche Weise wie früher eingesperrt: den Bedingungen der Macht entsprechend. Einen Befehl zu missachten, weil eine tief verwurzelte Gewohnheit zu schnell modifiziert werden muss, ist keineswegs dasselbe wie sich zu weigern, von irgendeiner Behörde Befehle zu befolgen, oder aus eigenem Antrieb der Herrschaft Zeit und Raum zu entreißen, um sie in etwas anderes zu verwandeln. Dies nennt man die Heilige Ökonomie oder das Gemeinwohl.

Da wir erst am Anfang dieser frühen globalen Welle von Maßnahmen stehen, die auch Straßendemonstrationen verbieten, wollen wir präzisieren, dass Algerien, welche solche gerade im Namen von Covid-19 verboten hat, am 13. März, insbesondere in der Kabylei, während der 56. Woche der Proteste gegen die Herrschaft mit Massenverstößen konfrontiert war; dass in Chile, wo der Aufstand Anfang März nach dem Ende der Feiertage wieder aufgenommen wurde, der Gesundheitsminister angekündigt hat, dass das Land mit der Einrichtung einer Massenquarantäne in Phase 3 eintreten wird; und dass in Frankreich, wo der Staat am 13. März beschlossen hatte, die Schwelle für Kundgebungen von 1.000 auf 100 Personen herabzusetzen, Straßendemonstrationen immer noch eine Ausnahme darstellen, die “für das Leben der Nation nützlich sind” und aus Angst vor zu heftigen Reaktionen toleriert werden, und dass man darauf vertraut, dass die Gewerkschaften sie nicht mehr selbst organisieren werden (Am 13. März zogen in Lyon 3000 junge Leute auf und sangen “Es ist nicht Corona der uns holen wird, sondern der Staat und das Klima”, ganz zu schweigen von der Pariser Demonstration der Gelbwesten am 14. März, die mit der Polizei zusammenstieß und mehrere verbrannte Autowracks hinterließ).

***

Und schließlich laufen von Seiten der Feinde der Behörden viele Menschen Gefahr, überrascht zu werden, wenn sie nicht vorher über die Frage nachgedacht haben, was sein wird, wenn eine solche Situation ausbricht: nicht die eines unerwarteten Aufstandes, sondern die einer plötzlichen und brutalen Verschärfung des Handlungsspielraums, zum Beispiel im Hinblick auf die möglichen Bewegungen, wie es zu Beginn des Aufstandes in Chile mit der Ausgangssperre oder eine Woche lang in Italien und dann in Spanien mit der Quarantäne des ganzen Landes geschah und geschieht. Und dies nicht nur wegen der zunehmenden Kontrollen, sondern auch wegen der Kollaboration von Bürgern, die den öffentlichen Raum auf Befehl verlassen und damit widerspenstige Personen offensichtlich machen oder zunehmend selbst Anzeigen machen, wo sie doch damit beschäftigt sind, sich hinter den Fenstern verschanzt in ihrer freiwillig eingenommenen Einsperrung zu langweilen mit Bedacht darauf dazu beizutragen, dass die Maßnahmen, die sie als schützend erachten, eingehalten werden.

Über die Frage nachzudenken, wenn es nicht bereits geschehen ist, bedeutet zum Beispiel zu wissen, welche Wege von der eigenen Wohnung zu günstigeren und hilfreicheren Orten führen, oder bereits identifiziert zu haben, welche über uns angebrachten Augen des Staates durchstochen werden sollen, um seine eigenen endlich wieder aufzumachen, aber auch, wie man es am geschicktesten anstellt aus der Stadt herauszukommen (diesmal vielleicht mit diesen Masken, die uns von der Macht empfohlen werden!) oder welche Landwege man einschlagen muss, damit man neue Kontroll- und Blockadepunkte am Horizont voraussehen kann. Es bedeutet auch die Vorstellungsgabe zu entwickeln, etwas, das eine weitere Schwierigkeit der großangelegten Einschlusses anbelangt, wie und wo man im Falle von Versorgungsengpässen zu etwaigen (Hilfs-)Mitteln kommt (viele Läden, die kein Essen verkaufen sind geschlossen). Dies kann auch eine gute Gelegenheit sein, das Problem der nicht durch die Technologie vermittelten Kommunikation zwischen mehr oder weniger verstreuten Komplizen, deren Zirkulation plötzlich komplizierter werden kann, neu zu strukturieren und, warum nicht, neue zu finden, die aus ihren eigenen Gründen das gleiche Bedürfnis verspüren, der Invasion der Straßenkontrollen zu entkommen (die große freiwillige Inhaftierung weist diese Besonderheit auf, welche die Gruppe der Leute, die nicht die Absicht haben, sich zu beugen, noch augenscheinlicher macht). Es gibt also viele Fragen, denen man sich dringend stellen muss, und so viele Gelegenheiten, den Blick auf ein Gebiet zu überdenken, zu beobachten und zu verändern, das gestern noch vertraut war, in welchem aber Räume und Grenzen sowohl hier auch drastisch abnehmen, sich aber anderswo ausdehnen werden können, oder welche alleine durch die neuen Imperative der Macht im Hinblick auf das Management der Epidemieströme, Wohnung-Arbeit-Supermarkt, verändert werden können.

Auf Seiten der Macht bringen die meisten Krisenpläne, die in den verschiedenen Ländern umgesetzt werden (in Italien und Spanien; wobei Deutschland oder Frankreich bis zu den nächsten Kommunalwahlen diesbezüglich noch blockiert sind), bisher einige Konstanten hervor, die zu ignorieren schade wäre.

Zum Beispiel ist es eine Gelegenheit für den Kapitalismus, auf eine Beschleunigung dessen hinzuarbeiten, was einige seit einiger Zeit als die Vierte Industrielle Revolution (nach Dampf, Elektrizität und Informationstechnologie) bezeichnet haben, sprich die totale digitale Vernetzung in allen Lebensbereichen (von der Physik bis zur Biologie oder Wirtschaft). Halten wir uns vor Augen: Hunderte von Millionen von Schülern von der Grundschule bis zur Universität, die nach der Schließung aller physischen Lehranstalten in verschiedenen Ländern sich plötzlich in permanenten Fernkursen wiederfinden; ebenso viele Arbeitnehmer, die zur Telearbeit gezwungen werden (durchschnittlich 20 bis 30%), unabhängig davon, ob sie daran gewöhnt sind; die massenhafte Vermehrung von Diagnosen durch einen zwischengeschalteten Bildschirm, der auf die Sättigung der medizinischen Praxen folgt; die Explosion der Kreditkartenzahlungen aus Angst, durch die Verwendung von Münzen und Banknoten infiziert zu werden. Und wenn wir zu all dem noch die Tatsache hinzufügen, dass die eingesperrten Bevölkerungsgruppen sich bereitwillig all dem widmen, was sie am Denken oder Träumen hindert, sich in Online-Shopping, Fernsehserien, Streaming-Spiele oder virtuelle Kommunikation mit Menschen zu stürzen, wird deutlich, dass sich die Wichtigkeit von Mobilfunkantennen, Glasfaserkabel und anderen optische Verbindungsknoten (NRO) oder einfach der Energienetze, die all dies antreiben, verzehnfacht haben. Nicht nur für die Produktion oder Hobbys, sondern einfach als die Hauptnabelschnur zwischen den einzelnen Lazaretten und der lebendigen Welt, die in der Tat mehr denn je derealisiert wurde.

Wenn man dann noch weiß, dass eine schöne Antenne, ein Transformator, ein Strommast oder ein Glasfaserkabel mehr als je zuvor bestimmen, wie man die Zeit der Selbsteinschlissung verbringt, sowie die Arbeit und die Massenerziehung aus der Ferne, aber auch für die Übermittlung der Herrschaft die von weissen Hemdkragen ausgeht und für die technologische Beschattung der Kontrolle (und das nicht nur in China oder Südkorea), eröffnet das dabei nicht interessante Wege, um diese neue Normalität zu durchbrechen, von welcher die Macht aus dem Vollen schöpft? Ganz zu schweigen von dem möglichen Lawineneffekt angesichts der mehr als konsequenten Zunahme des Internet- und Telefonverkehrs sowie der geringeren Verfügbarkeit von Technikern, die sich im Krankenstand befinden…

Der zweite Punkt, der in den europäischen Notfallplänen konstant zu sein scheint, ist die Priorität, die der minimalen Aufrechterhaltung des Transports eingeräumt wird, mit dem Ziel die Arbeitnehmer, die nicht auf als kritisch definierte Industrien und Dienstleistungen beschränkt sind, dazu zu bringen, den Warenfluss per LKW oder Bahn zu letzteren aufrechtzuerhalten, sowie die Versorgung von Städten, deren Reserven bekanntermaßen auf wenige Tage beschränkt sind. Auch hier ist dies eine nicht zu vernachlässigende Gelegenheit für diejenigen, die die Wirtschaftsbereiche destabilisieren wollen, welche die Regierung um jeden Preis erhalten will und die immer sichtbarer werden (in Katalonien ist derzeit die Rede von der Schaffung spezieller Korridore für gesunde Arbeiter und um Waren zu bestimmten Produktionsstätten zu bringen).

In Zeiten von Not- und Krisenzeiten auf diesen Ebenen, in welchen alle
 sozialen Beziehungen brutal aufgedeckt werden (im Sinne von Entmachtung als Priorität für Staat und Kapital), in denen die freiwillige, von Angst getriebene Knechtschaft sich schnell in einen Alptraum verwandeln kann, auf den sich die Herrschaft wiederum anpassen muss, ohne alles zu kontrollieren, ist das Wissen, wie man auf feindlichem Gebiet handeln kann, nicht nur eine Notwendigkeit für diejenigen, die nicht in ihrem kleinen Hauskäfig ersticken wollen, sondern auch ein wichtiger Moment, um neue Salven gegen feindliche Einrichtungen abzufeuern. Auf jeden Fall, wenn man für eine völlig andere Welt kämpft, die auf einer Freiheit ohne Maß basiert. Die Revolte, die ist das Leben.

* Beispielsweise beginnen viele Industrien aufgrund der Unterbrechung der Versorgungsketten aus China zu verlangsamen, während Deutschland gerade staatlich verbürgte Darlehen an Unternehmen in Höhe von 550 Milliarden Euro angekündigt hat, was ein noch stärkerer Hilfsplan ist als der, der während der Finanzkrise von 2008 in Kraft trat. Viele beginnen von einer Zeit der globalen Rezession zu sprechen.

 

[Avis de tempêtes, n°27, März 2020]

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  • Storm Warnings #52 (April 2022)
    Storm warnings, anarchist bulletin for the social war, issue 52 (April 2022) came out. It is the full English translation of Avis de Tempêtes. Earlier issues and translations in different languages are available for reading, printing and spreading on the website https://avisbabel.noblogs.org Storm warnings, issue 52 (April 15, 2022) :… Read more: Storm Warnings #52 (April 2022)
  • Todas e todos implicados
    Na primeira luz do amanhecer, um caminhão de 40 toneladas começa a se mover sob uma ligeira chuva. Mas não é um dos milhares de caminhões que transportam mercadorias por estrada, e sua missão é muito menos trivial. Com seus faróis acesos, o caminhão passa pelos subúrbios da capital bávara,… Read more: Todas e todos implicados
  • Todxs los implicadxs
    Con las primeras luces del alba, un camión de 40 toneladas se pone en marcha bajo una ligera lluvia. Sin embargo, no es uno de los miles de camiones que transportan mercancías por carretera, y su misión es mucho menos trivial. Con los faros encendidos, el camión atraviesa los suburbios… Read more: Todxs los implicadxs

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